Der stille Sammler
der Moment, in dem ich den zerquetschten blutigen Tortillachip auf dem Boden vor dem Beifahrersitz entdeckte. Der Entführer hatte keine Sekunde verschwendet und Jessica sofort überwältigt. Sie war chancenlos gewesen.
Eine Menschenjagd begann, die den gesamten Südwesten umfasste. Verdächtige und Zeugen wurden vernommen, Mietwagenstationen überprüft (das SUV war von einem gewissen Elias Smith angemietet worden, ein Wortspiel für Alias, doch diese Spur erwies sich als Sackgasse), und die Ergebnisse aus dem forensischen Labor in Washington, dem besten des Landes, kamen in Rekordzeit zurück. Jessicas Fingerabdrücke waren überall rings um den Beifahrersitz herum verstreut, unsere Version von Brotkrumen, um eine Spur zu hinterlassen. Andere Fingerabdrücke wurden ebenfalls gefunden, aber kein einziger war in der AFIS -Datenbank gespeichert. Ohnehin stammte mit großer Wahrscheinlichkeit keiner der Abdrücke vom Täter selbst, der zweifellos die ganze Zeit Handschuhe getragen hatte. Die CD war genauso sauber wie die dazugehörige Hülle, die unter dem Fahrersitz gefunden wurde. Überall im Wagen waren irgendwelche Spuren – es war schließlich ein Mietfahrzeug –, und der Killer hatte extra einen Wagen gewählt, der genügend Kilometer auf dem Buckel hatte, dass man ihm den häufigen Gebrauch auch ansah.
Er hatte nur einen einzigen kleinen Fehler gemacht, nämlich den Ohrstöpsel des Walkmans in sein Ohr gesteckt und damit seine DNA darauf zurückgelassen, doch sie war mit der von Jessica vermischt. Selbst wenn wir ihn in der Datenbank hatten, war seine DNA so stark mit der von Jessica kontaminiert, dass es schwer bis unmöglich war, einen stichhaltigen Beweis daraus abzuleiten. Nach Lage der Dinge würde ich niemals herausfinden, ob er mich gehört hatte, als ich über Funk »Jessica, bitte melden!« und »Jessica, kannst du mich hören?« gerufen hatte.
Falls ja, war ich diejenige, die Jessicas Deckung hatte auffliegen lassen.
Wir setzten die Jagd fort, doch zur gleichen Zeit rechneten wir damit, ihre Leiche irgendwo am Straßenrand zu finden, in Positur gelegt wie die anderen zuvor. Nach einer Woche schließlich mutmaßten wir, dass der Killer sich stattdessen verkrochen hatte, weil ihm das Risiko zu groß geworden war.
Die Nachwehen waren zahllose Konsultationen mit Experten in Washington und der Umgang mit den Eltern, Zach und Elena Robertson, die damals noch miteinander verheiratet waren. Wir wussten alle, dass Jessica tot war, nur ihre Eltern wollten es nicht wahrhaben, viele Monate nicht, Jahre.
Und dann kamen die Postkarten. Zachs Qualen wurden am Leben gehalten durch die Postkarten des Killers, den grausamen Scherz, den er sich mit den Angehörigen Jessicas erlaubte. Weitere Hinweise – Fehlanzeige.
Der Verlust eines Undercoveragenten wird aus den Medien gehalten, so gut es geht. Ich suchte in den folgenden Jahren weiter nach dem Killer, ohne jeden Erfolg. Soweit wir wussten, war Jessica sein letztes Opfer gewesen.
Mein vollständiger Bericht und die Audiodateien meines Funkkontakts mit Jessica – einschließlich ihrer letzten Worte an mich, »Zehn-vier, Coach« – sowie die Kate-Smith- CD , die dreimal komplett durchgelaufen war, befinden sich in den Archiven des FBI . Und das war alles, was ich je mit Sicherheit wusste oder sagen konnte, bevor ich Jessicas Leichnam im Wagen am Pass zum Mount Lemmon erblickte.
Lynchs Fahrtenbücher konnten überprüft werden, doch dazu war keine Zeit. Ich dachte an die Abfolge der jüngsten Ereignisse. Lynch wird bei einer Routinekontrolle festgenommen und legt ein Geständnis ab … Laura Coleman schöpft Verdacht bezüglich der Echtheit des Geständnisses … Peasil wird losgeschickt, um mich zu ermorden … Coleman verschwindet spurlos … mit wem hatte sie sonst noch über ihre Vermutungen gesprochen? Es gibt einen zweiten Anschlag auf mich. Wer will uns an weiteren Ermittlungen hindern und warum? Wen schützt Lynch?
Wenn er die Route-66-Morde nicht begangen hat, befindet sich Laura Coleman in der Gewalt des wirklichen Mörders.
Ich hatte Jessica Robertson nicht retten können. Ich hatte Zach nicht retten können. Bedauern, das auf persönlichem Versagen beruht, kann eine wunderbare Motivation sein. Ich würde Coleman nicht auch noch verlieren. Falls Lynch mir nicht freiwillig verriet, was ich wissen wollte, würde ich die Wahrheit mit seinen eigenen Fahrtenbüchern aus ihm herausprügeln.
Es war mitten in der Nacht, und es gab keinen unbeobachteten
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