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Der stille Sammler

Der stille Sammler

Titel: Der stille Sammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Becky Masterman
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und reichte mir Mentholatum, das ich mir unter die Nase schmieren konnte. Es half gegen den Verwesungsgestank, der so intensiv war, dass er sich wie Öl auf der Haut anfühlte.
    Doch er ließ mich die gesamte Autopsie verfolgen, während er mich beobachtete, von der äußerlichen Untersuchung über den y-förmigen Einschnitt bis zu dem Punkt, wo sie die Kopfhaut von hinten über das Gesicht stülpen und die Schädeldecke mit einer Spezialsäge öffnen – mit einem Geräusch, als würde man Zähne von hinten aufbohren. Während Manriquez den Leichnam bearbeitete, zerquetschte er mit einem latexgeschützten Daumen geistesabwesend ein paar übrig gebliebene Maden, diktierte seinen Befund in das Mikrofon und redete zu uns. Selbst der Assistent, der die Organe zum Wiegen und Fotografieren entgegennahm und zurückbrachte, sah ein wenig grün im Gesicht aus. Niemand hat Spaß an einer verfaulten Leiche.
    »Das hier ist eigenartig«, sagte Manriquez und betastete mit dem rechten Zeigefinger einen verrotteten Schnitt im linken Oberschenkel des Toten. »Angesichts der fortgeschrittenen Verwesung ist es schwer zu sagen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass dieser Schnitt hier nicht postmortal erfolgte. Neben der Leiche wurde auf dem Boden ein Kartonschneider gefunden, sagten Sie?«
    Max nickte. »Genau genommen auf dem Dach. Der Wagen lag ja auf dem Kopf.«
    »Ich hätte zum Fundort kommen sollen.«
    »Wir haben versucht, Sie zu erreichen.«
    »Die Wunde könnte von dem Kartonschneider herrühren. Oder von einer anderen scharfen Klinge. Ich glaube jedenfalls nicht, dass diese Wunde von einem Unfall herrührt.«
    »Sie sind sicher, dass es kein Selbstmord war?«, fragte Max.
    »Das wäre eine äußest schmerzhafte Art, aus dem Leben zu scheiden. Wenn er unbedingt verbluten wollte, hätte er sich die Halsvene öffnen können. Sie ist näher an der Oberfläche, und man verliert schneller das Bewusstsein.«
    »Mord?«
    »Das halte ich für sehr wahrscheinlich, ja. Möglicherweise Totschlag, ein Kampf auf engstem Raum im Van. Ich würde den Fall definitiv noch nicht abschließen.«
    »Okay, Doc. Legen Sie den Toten auf Eis. Ich suche weiter nach den nächsten Anverwandten, für den Fall, dass jemand Anspruch auf den Leichnam erhebt. Könnte ich für ein paar Minuten Ihr Büro benutzen?«
    Manriquez nickte und wandte sich seinem Assistenten zu, der den Einschnitt mit dickem schwarzem Faden vernähte, während er zugleich den Kopf so weit zur Seite drehte, wie er konnte, und die Luft anhielt.
    Max bedeutete mir, ihm zu folgen, und wir gingen durch einen kurzen Flur zu einem Büro, das bis auf einen Schreibtisch mit einem Sessel dahinter und zwei dünn gepolsterten Besucherstühlen vollkommen leer war. An der Wand in der Ecke hing eine Eselspiñata, die den Eindruck erweckte, als stamme sie noch von Manriquez’ Vorgänger. In einem kleinen Bücherregal standen pathologische Fachbücher und Atlanten, die aussahen, als würden sie häufig gebraucht. Auf dem Schreibtisch stand ein alter Computer. Daneben lag das übliche Durcheinander, das man im Büro eines Pathologen erwartete – ein paar Stifte, Blöcke, eine Schachtel mit Mikroskopträgern und andere medizinische Gegenstände. Keine persönlichen Dinge, keine Diplome an der Wand, keine Familienbilder auf dem Schreibtisch. Wenn es eine Mrs Manriquez und Kinder gab, wollte er wohl nicht, dass sie mit seinem Leben im Büro in Berührung kamen. Ich bin offensichtlich nicht die Einzige, die so denkt.
    Max zog einen der Stühle vor dem Schreibtisch herum und bedeutete mir, auf dem zweiten Stuhl Platz zu nehmen, sodass wir einander schräg gegenübersaßen.
    Ich war inzwischen so durcheinander, dass ich nicht mehr wusste, was ich sagen konnte, ohne mich selbst zu belasten, doch ich musste ein Risiko eingehen. »Wie gut kennst du Agent Coleman?«, begann ich.
    »Nicht besonders gut.« Max hatte anscheinend andere Dinge im Kopf.
    »Wann hast du das letzte Mal mit ihr gesprochen?«
    »An dem Tag, als wir hier waren.« Er fragte nicht nach, warum ich das alles wissen wollte, sondern wechselte das Thema. »Ein Kampf auf engem Raum in dem Van«, sagte er, indem er die Worte von Manriquez wiederholte.
    »Es könnte so gewesen sein, hat er gesagt.«
    Max beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf die Knie und verschränkte die Finger. »Du hast gewusst, dass es ein Van war, bevor ich es erwähnt habe«, sagte er. »Du wusstest, dass der Tote dort im Flussbett lag, und hast mich angelogen. Aber

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