Der stille Sammler
ich werde dir einen Gefallen tun. Ich werde die Sache nicht sofort als Mord betrachten und dich zwecks Befragung nicht mit in die Zentrale nehmen. Aber du wirst mir erzählen, was passiert ist, verstanden? Und ich will keine Lügen mehr hören!«
Ich war nicht allzu überrascht. Auf dem Rückweg vom Flughafen hatte ich mir die Geschichte mit Max immer wieder durch den Kopf gehen lassen und war zu dem Ergebnis gekommen, dass ich mit meiner Schlussfolgerung zu voreilig gewesen war. Sicher, mit der Erwähnung des Vans hatte ich mich verraten – und Max wusste, dass meine Behauptung, den Wagen nicht im Flussbett gesehen zu haben, eine Lüge gewesen war. Aber von da bis zu dem Verdacht, eine ehemalige FBI -Beamtin hätte ein unschuldiges Opfer ermordet und dann ihre Spuren verwischt, war es ein sehr großer Schritt. Max hatte keine Veranlassung, diesen Schritt zu machen. Deshalb hatte er auch nicht »Verhör« gesagt, sondern »Befragung«.
Ich fühlte mich also etwas zuversichtlicher, als ich antwortete: »Ich bin hier, um ein volles Geständnis abzulegen.«
Max stieß ein Schnauben aus, als wollte er einen Rest von Gestank aus dem Autopsieraum loswerden, und wischte sich mit dem Handrücken über die Oberlippe. Dann hatte er sich wieder gefangen. »Nimm mich nicht auf den Arm. Spuck endlich aus, was passiert ist.« Er klang wie I-Aah, der mürrische Esel aus Pu der Bär.
Ich hatte in meiner Karriere mehr als genug Lügen zu hören bekommen und reichlich Gelegenheit gehabt, selbst Übung im Lügen zu entwickeln. Wenn es mir gelang, eine Geschichte zu erfinden, die er mir abkaufte, ohne mir dabei selbst einen Strick zu drehen …
Ich begann vorsichtig, indem ich die Wahrheit mit gerade so viel Lügen vermischte, dass es sich glaubwürdig anhörte – hoffte ich zumindest. Ich erzählte ihm von meiner Beziehung zu Carlo und dass er nichts über meine Vergangenheit wusste. Deshalb, erklärte ich, hätte ich nicht in Carlos Beisein reden wollen.
»Ja«, fuhr ich dann fort, »ich habe den Van gesehen, einen Tag, bevor er gefunden wurde. Ich habe sogar einen Blick hineingeworfen. Und ich habe die Leiche gesehen. Es stimmt, ich wusste von dem Toten. Ich wollte dich sofort übers Handy anrufen, konnte mich aber nicht mehr bewegen. Der Schock, verstehst du? Ich hatte gedacht, ich würde so etwas nie wieder sehen. Und ich hasse die Vorstellung, Carlo könnte herausfinden, wie sehr mein früheres Leben von Gewalt geprägt war.«
Ich beugte mich vor, imitierte seine Körperhaltung, um zu zeigen, dass ich mit ihm synchron war, die Arme in einer vertraulichen Geste auf die Lehnen gestützt. »Jemand wird den Toten schon finden, sagte ich mir, selbst wenn ich die Sache nicht melde. Und so war es ja auch. Cliff hat ihn nach nicht mal achtundvierzig Stunden entdeckt, bevor ich überhaupt die Gelegenheit hatte, mich telefonisch zu melden.«
Was war die Wahrheit, was gelogen? Nicht einmal ich vermag das noch zu sagen. Alles hörte sich so an, als hätte es tatsächlich so gewesen sein können, und Max schien mir zu glauben. Oder er setzte mich auf die Liste der Verdächtigen, was auch immer. Er nickte zögernd.
»Ich weiß, ich habe einen Fehler gemacht«, sagte ich. »Einen ziemlich üblen Fehler. Aber ich habe keine Ermittlungen behindert, höchstens um einen Tag verschoben. Wenn du möchtest, setze ich mich hin und schreibe einen Bericht über alles, was ich an diesem Tag getan und gesehen habe.«
Max schien sich ein wenig zu entspannen, was mich ebenfalls beruhigte. »Nach dem vielen Regen ist das Flussbett voll«, sagte er. »Unsere Spurensicherung vermutet, dass sämtliche physischen Beweise den Fluss hinuntergespült wurden. Selbst wenn sie etwas finden, können sie nicht mit Sicherheit sagen, dass es mit dem Tatort zu tun hat. Falls die Stelle, wo der Van gefunden wurde, überhaupt der primäre Tatort ist.«
»Genau. Der Gerichtsmediziner sagt zwar, der Schauplatz sei im Van gewesen, aber wo der Van selbst war, als die Tat verübt wurde, weiß er auch nicht. Der Wagen könnte von woandersher gekommen sein, und das Flussbett war nur die Fundstelle.« Jetzt, wo ich anscheinend vom Haken war, wollte ich behilflich erscheinen. »Herrgott noch mal, wo ist Gary Sinise, wenn man ihn braucht? Wenn du recht hast mit deiner Vermutung, dass der Typ ein Landstreicher war, wie hartnäckig wirst du der Sache nachgehen?«
»Oh, ich werde ihr nachgehen, keine Sorge. Ob Unfall oder Mord, ich denke, er war entweder auf der Durchreise,
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