Der stille Sammler
ich für jede Musikrichtung das eine oder andere Arschloch kannte, das total darauf abfuhr, ob Oper oder Hip-Hop oder Rap. Seit es schwieriger zu hören ist, ob jemand sich von hinten anschleicht, wenn Musik spielt. Seit Paul auf dem Cello gespielt hat und ich jedes Mal, wenn ich ein Streichinstrument höre, das Gefühl habe, der Spieler rammt mir den Bogen in den Hals.
Jedenfalls habe ich Musik schon lange vor jener heißen Sommernacht gehasst, in der ich Jessica verlor, als Kate Smiths When the Moon Comes Over the Mountain leise in den Lautsprechern der Abhöranlage erklang.
Ich wandte mich Cheri zu. »Und woher stammen Sie?«
»Ich bin hier geboren«, antwortete sie. »Meine Familie lebt seit fast zweihundert Jahren hier. Wir waren immer Rancher, niemals Sklaven.«
Sie sagte dies voller Stolz. Die Menschen in ihrer Umgebung sollten mehr sehen als Cheris schwarze Hautfarbe. Ich hatte davon gehört, dass ein kleiner Prozentsatz der schwarzen Bevölkerung Arizonas auf andere Weise den Weg hierhergefunden hatte als an Bord von Sklavenschiffen.
»Sind Sie und Emery zusammen?«, wollte ich wissen.
Cheri lächelte und nickte.
»Wie haben Sie sich kennengelernt?«
»Ich habe einen Job gesucht, um mein Studium zu finanzieren. Emery kannte meine Familie.«
»Wie kommen Sie mit dem Studium voran?«
»Gut.« Mehr sagte sie nicht. Dann schlug sie traurig die Augen nieder. Jeder lügt dann und wann.
Ich wechselte das Thema erneut, indem ich einen Burrito mit Guacamole bestellte, um einen Teil des Alkohols zu absorbieren, der mir zu schaffen machte – immerhin hatte ich seit dem Bagel am frühen Morgen noch nichts gegessen.
Die kurze Unterhaltung mit Cheri über ihre Beziehung zu Emery führte beinahe zwangsläufig dazu, dass ich an Carlo dachte. Mir war es recht – auch weil es angenehmer war als der Gedanke an Schweinefüße und Massensterben.
36.
Es war verdammt lange her, seit ich so viel Zeit damit verbracht hatte, vor dem Schrank zu stehen und auf meine Klamotten zu starren. Schließlich entschied ich mich für ein bodenlanges schwarzes, ärmelloses Trikotkleid mit einem tiefen Wasserfall-Ausschnitt, das meinen relativ festen Trizeps zur Geltung brachte, während es meine dicken Knie verbarg. Ich ließ die Haare offen, anstatt sie zu einem Knoten hochzustecken.
Es klopfte an der Tür – er benutzte keine Klingel. Als ich öffnete, brauchte es keinen geschulten Blick, um zu sehen, welche Wirkung ich auf ihn hatte. Seine Augen weiteten sich, und sein Herz schlug schneller, was ich an der Halsschlagader erkennen konnte. Überraschenderweise spürte ich, wie sich als Reaktion mein eigener Puls ebenfalls beschleunigte, als wären unsere Herzen frisierte Motoren vor dem Start eines Dragster-Rennens. Ich versuchte mich an das letzte Mal zu erinnern, als ich Sex gehabt hatte, und überlegte, ob ich nicht sofort mit ihm ins Bett gehen sollte – das Essen würde sich unerträglich lange hinziehen. Er half mir beim Einsteigen in seinen nichtssagenden Volvo, und seine Hand strich wie unabsichtlich über meine nackte Schulter.
Das Essen verlief ganz anders, als ich befürchtet hatte. Okay, wir gingen die üblichen Hintergrundgeschichten durch. Er erzählte, dass er ein ehemaliger katholischer Priester sei und unterrichte, seit er als Mittvierziger den Jesuitenorden verlassen hatte. Dann redete er über Jane, seine Frau, mit der er zwanzig Jahre lang verheiratet gewesen war. Die tiefe Trauer, die er dabei empfand, ließ sein Gesicht noch attraktiver aussehen. Ich erzählte ihm meine Geschichte – die weichgespülte, gereinigte Version selbstverständlich. Dass ich bei einer Gesetzesbehörde gearbeitet hätte, leider nur am Schreibtisch, und dass ich nun im Ruhestand sei. Viel mehr gab es über mich nicht zu erzählen.
»Bei einer Bundesbehörde?«, wollte er wissen, indem er über meinen Hinweis hinwegging, nicht darüber reden zu wollen.
»Ja. Ich habe Urheberrechtsverletzungen untersucht«, fügte ich hinzu, um weiteren Fragen zuvorzukommen und voll heimlichem Bedauern angesichts der Tatsache, dass schon so früh am Anfang unserer Beziehung die erste kleine Lüge notwendig war.
Um den Fokus wieder auf ihn zu lenken, fragte ich: »War es schwierig, Priester zu sein und mit so viel Gewalt und Schrecken auf der Welt zurechtkommen zu müssen?«
»Nein. Ich habe festgestellt, dass der Mensch tatsächlich von Natur aus gut ist. Die meisten Menschen jedenfalls.«
»Seit wann?«, fragte ich und trank mit einem
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