Der stille Schrei der Toten
oft hierher. Sie können sich die FBI-Aufnahmen ansehen. Sie sind ständig dran.«
»Das FBI überwacht die Montenegros rund um die Uhr?«
Thierry nickte und entfernte sich dann kurz vor Beginn der Trauerfeier. Fünf Minuten später konnte ich durch mein Fernglas sehen, wie er die Eingangstreppe erklomm und in der Kirche verschwand. Ich legte es darauf an, zu spät zu kommen, sodass ich mich in der Kirche ganz hinten hinstellen und die Trauergäste unbehelligt beobachten konnte. Aus dem Grund wartete ich noch zehn Minuten. Ich freute mich nicht gerade auf die kommende Stunde. Beerdigungen waren nicht mein Ding – ich mochte sie nicht, mied sie wie der Teufel das Weihwasser, und außerdem trage ich selten Kleider. Eigentlich trage ich niemals Kleider, aber aus Respekt gegenüber Sylvies Familie schlüpfte ich in ein ärmelloses schwarzes Kleid mit Stufenrock von ungefähr 1980. Dazu trug ich einen kurzärmligen schwarzen Leinenblazer, um mein Schulterhalfter zu verbergen, denn ich wäre verrückt, mich ohne Waffe hier herumzutreiben. Sogar auf einer Beerdigung. Selbst wenn es bedeutete, in der Schwüle von Louisiana zu schmelzen. Außerdem schien nach den Ausbuchtungen in ihrer Kleidung keiner der Trauergäste unbewaffnet zu sein. Aber zurück zu meiner Aufmachung. Zugunsten eines Paars viel zu enger schwarzer Lackballerinas, hatte ich sogar auf meine Sneakers verzichtet, aber ich hatte mich strikt geweigert, eine Strumpfhose anzuziehen. Das musste nun doch nicht sein. Ich hatte abgenommen, seit ich das Kleid zum letzten Mal getragen hatte, und so schlabberte das Kleid an mir herum wie an einer Vogelscheuche. Aber so ist das Leben nun mal.
Thierry hatte mir dringend zu einer Kopfbedeckung geraten, und so hatte ich mir unterwegs im nächstbesten Kaufhaus noch schnell einen schwarzen Spitzenschleier besorgt. Ich drapierte ihn über Kopf und Schultern, sodass ich schon sehr feminin aussah, betrat die Kirche und nickte den sechs Schlägertypen zu, die am Weihwasserkessel Spalier standen. Dem Anlass entsprechend waren sie alle dunkel gekleidet und hielten ihre Waffen respektvoll verborgen. Einer von ihnen war Thierry. Jean-Claude war nirgendwo zu sehen.
Die Kirche war fast voll, und die Trauerfeier hatte bereits begonnen. Ich bekreuzigte mich mit Weihwasser, wie ich es im Fernsehen gesehen hatte, und bezog ganz hinten Position. Die Familie der Verstorbenen saß vereint in den ersten Reihen, und es dauerte nicht lange, bis ich feststellte, dass Black unmittelbar dahinter saß. Er schien allein zu sein. Ich erkannte sonst niemanden, aber schon im nächsten Moment hörte ich lautes Schluchzen. Es kam von Gil Serna, der im Seitenschiff Platz genommen hatte. Er schien schwer betroffen, und die ersten Gäste wandten bereits ihre Köpfe, um zu sehen, wer da weinte. Er war in Begleitung einer Frau mit perfekter Strähnchenfrisur, wahrscheinlich seine Presseagentin, sowie eines bulligen Glatzkopfs, wahrscheinlich sein Bodyguard. Prominente traten nie ohne Anhang in Erscheinung. Ich hatte gehofft, er würde kommen. Das verschaffte mir die Gelegenheit, ihn zu vernehmen, ohne dass Charlie einen Flug nach L. A. springen lassen musste.
Der Sarg war natürlich verschlossen. Ich fragte mich, ob Black den Vater über die grausigen Details informiert hatte. Sylvie hatte ungefähr dieselbe Anzahl Blumenarrangements wie Rudolph Valentino bei seiner Beerdigung in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. So weit das Auge reichte, lagen sie über den ganzen Altarraum und bis in die Seitenschiffe hinein verteilt. Es lag ein seltsamer Duft in der Luft, eine Mischung aus Rosen und Weihrauch. Der Gottesdienst ging weiter, und aus Rücksicht auf die Folterinstrumente aus schwarzem Lackleder an meinen Füßen nahm ich in der letzten Reihe hinter einer Säule verborgen Platz. Ich sah Jean-Claude, der einen Seiteneingang bewachte, der zum angrenzenden Friedhof führte. Was erwarteten die sich eigentlich? Eine bewaffnete Erstürmung des Sarges?
Nach Abschluss der Totenmesse wurde der Sarg von acht Trägern übernommen. Zu meinem großen Erstaunen war Nicholas Black einer von ihnen. Und noch erstaunlicher war, dass Gil Serna auch mit von der Partie war. Er weinte während des ganzen Wegs zur Grabstätte unablässig wie ein kleines Kind. Er schien wirklich sehr betroffen zu sein, aber andererseits war er natürlich Schauspieler und jederzeit in der Lage, Tränen zu produzieren.
Draußen hielt ich mich im Zuschauerkreis abseits und wartete auf
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