Der stille Schrei der Toten
sonst so benahmen. Im Erdgeschoss gab es je ein Wohn-, Ess-, Arbeits- sowie ein Herrenzimmer und eine riesige Küche, die offenbar notwendig war, um die überall herumstehenden bewaffneten Kerle zu versorgen. Die waren mir gleich nach unserer Ankunft aufgefallen. Ich weiß ganz gern, wo sich die Ausgänge befinden, wenn ich Typen wie dem Paten meine Aufwartung mache. Die Innenausstattung war in hellen Pastelltönen gehalten – nirgendwo eine Spur von den schweren dunklen Holzvertäfelungen, die man normalerweise mit Filmen von Francis Ford Coppola assoziiert. Natürlich, sie waren ja Italiener. In Louisiana ansässige Gangster bevorzugten offenbar einen Stil à la Florida und engagierten Innendekorateure aus Palm Beach.
Die Familie empfing uns in einem in blau und gelb gehaltenen Salon, und mir fiel auf, dass sie Black sehr warmherzig begrüßten. Dann kam er auf mich zu. Ich hatte auf einer Treppenstufe Position bezogen, um einen besseren Überblick zu haben. Nicht besonders subtil, aber immerhin. Wie von ihm bereits angedeutet, hatte er tatsächlich nicht vor, allzu lange zu bleiben. »Ich muss zurück. Wenn Sie möchten, können Sie gern bei mir mitfliegen, Detective. Platz gibt’s genug.«
»Ich bin nicht zu meinem Vergnügen hier, Doktor. Ich hab noch zu tun.« Gott, klang das förmlich und abweisend. Ich weiß nicht warum, aber ich hatte Schwierigkeiten, in seiner Anwesenheit einigermaßen höflich zu bleiben, obwohl ich sonst eigentlich ein recht umgänglicher Mensch bin. Vielleicht versuchte ich unbewusst, im Keim zu ersticken, was sich zwischen uns anbahnen könnte. Der Versuch zeigte Wirkung. Sein Blick war so warm wie ein Gletscher in Alaska.
»Bitte lassen Sie es mich wissen, wenn ich Ihnen bei der Ermittlung noch irgendwie behilflich sein kann.« Er schenkte mir ein Lächeln, das in etwa besagte, ich bleibe bewusst höflich, auch wenn du dich benimmst wie die letzte Zicke.
Nachdem er den Raum verlassen hatte, ging ich ans Fenster, um mich zu vergewissern, dass er auch tatsächlich abfuhr, wie er behauptete. Ich glaubte ihm nicht die Bohne. Ich war froh, den weiten Weg auf mich genommen zu haben, als ich sah, wie der schwarze Chauffeur der Montenegros auf ihn zukam und ihn innig umarmte. Höchst interessant für eine ausgebuffte Ermittlerin wie mich. Für Menschen, die sich nicht kannten, waren sie zu nett zueinander und ihre Unterhaltung dauerte einen Tick zu lange. Ich ging auf die Veranda hinaus und stellte mich hinter eine Gruppe von Leuten, die die Aussicht bewunderten, in der Hoffnung, ich könnte von dem Gespräch etwas mitbekommen. »Bleiben Sie beim nächsten Mal nicht so lange aus, Nicky. Sie wurden hier sehr vermisst.«
Oh, oh, wenn das mal nicht meine Zickigkeit rechtfertigte. Black hatte offenbar in der Tat eine weitaus innigere Beziehung zu Sylvie und ihrer Familie, als es einem Psychiater eigentlich zustand. Ich fragte mich, ob er was Illegales am Laufen hatte hier unten in der Cajun-Region. Vielleicht Drogen. Drogenlieferant für die Reichen und Schönen vielleicht? Vielleicht finanzierte er damit seine zahllosen Herrenhäuser, die maßgeschneiderten Yachten und Privatjets. Vielleicht war Sylvie deshalb auf seinem Grund und Boden ermordet worden. Ich beschloss, diesen neuen Aspekt später genauer zu bedenken. Gil Serna hatte sein Weinen endgültig eingestellt.
Wir setzten uns für unser Gespräch auf ein olivgrünes Samtsofa in einer Ecke der Eingangshalle. Ich nahm mir vor, ihn mit Samthandschuhen anzufassen.
»Mr Serna, es tut mir so leid, was passiert ist. Ich weiß, dass Sie und Ms Border mehr als nur befreundet miteinander waren.«
Seine großen schokoladenbraunen Augen füllten sich mit Tränen. Oh je, er hatte wirklich nahe am Wasser gebaut. Wenn nicht bald Schluss damit wäre, würden seine Tränendrüsen noch persönlich vor ihm auf die Knie fallen und ihn um Gnade bitten. »Ich hab sie so geliebt. Oh mein Gott. Wie konnte das nur passieren. Ich kann es nicht fassen. Oh Gott, es ist so schrecklich.«
»Ich werde mein Bestes tun, den Fall aufzuklären. Wann haben Sie das Opfer zum letzten Mal gesehen, Mr Serna?«
»Kurz vor ihrer Abreise nach Cedar Bend. Ich war dagegen und wollte, dass sie lieber bei mir bleibt. Ich hatte eine Woche in L. A., ehe ich für die Aufnahmen zu meinem neuen Film nach Italien musste. Der Arbeitstitel lautet ›Trojaner‹. Es ist ein Sandalenfilm à la ›Gladiator‹. Wenn sie bloß hiergeblieben wäre. Dann wäre das nicht passiert. Sie
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