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Der stille Schrei der Toten

Der stille Schrei der Toten

Titel: Der stille Schrei der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Ladd
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Coventry?«, fragte ich sie, während ich sie genauer ansah und mich fragte, was genau sie in London eigentlich machte. Vorstellen konnte ich mir so manches, aber das war alles nicht nett.
    »Sie ist heute Morgen eingetroffen«, sagte Black streng; offenbar war er sich meines Verdachts wohl bewusst. »Sie und Sylvie sind sich nie begegnet.«
    Plötzlich ging der drallen Rothaarigen ein Licht auf. »Verdächtigen Sie etwa mich, Detective? Sie klang schrill und wie außer sich. Ihre Locken und der Busen bebten vor Zorn. Dolly Parton von einer Elektroschockwaffe getroffen.
    »Ich verdächtige jeden, Ma’am. Das ist mein Job«, sagte ich kühl und unbewegt.
    »Gillian, wir sehen uns später im Lauf des heutigen Abends oder morgen früh, vor deinem Abflug.«
    Gillian schmollte, aber unter gutem Zureden seinerseits ließ sie sie sich hinausführen. Dann kam er zu mir zurück, fasste mich am Arm und geleitete mich zum Boot. Kein gutes Zureden dieses Mal. Es fiel überhaupt kein Wort. Ich stieg in das Boot und nahm hinten im Heck auf einem gepolsterten Sitz Platz, während er das Steuer besetzte. Ich sah, wie er seine schwarze Fliege abmachte und dann mit beiden Händen das Steuerrad ergriff, möglicherweise in der Annahme, es wäre meine Kehle. Er legte den Gashebel auf Anhieb bis zum Anschlag um, und der Bug schnellte abrupt hoch, als wäre das teure Gefährt eine so schnöde Behandlung nicht gewohnt, senkte sich aber dann wieder ab, als das Boot auf den See hinausdüste und Tempo gewann.
    Ich hielt mich an der Reling fest, froh darüber, dass unser netter gemeinsamer Abend so gut wie vorüber war, und in stärkerem Maße erleichtert als ich sollte, dass er offenbar doch nicht schuldig war. Zehn Minuten später, mich beschäftigte noch immer die Frage, warum mir daran gelegen war, ob er nun der Täter war oder nicht, stellte er plötzlich den Motor ab. Das Boot kam in Sekundenschnelle zum Stehen, ging mit der anbrandenden Heckwelle nach oben und schaukelte uns dann wie zwei Babys in einer Wiege.
    Keine gute Aussicht. Mitten auf einem sehr tiefen und dunklen See alleine mit einem eventuellen Mörder, der gar nicht gut auf mich zu sprechen war. Ich glitt mit einer Hand unter meine Jacke und öffnete den Sicherheitsverschluss an meinem Halfter. Black registrierte das leise Knipsen sofort.
    »Was haben Sie jetzt vor, Detective? Mich zu erschießen?« Er spuckte die Worte aus. Scharf. Wütend. Nicht das makellose Parlando, dessen er sich sonst bediente.
    »Kann sein. Hängt ganz von Ihnen ab.«
    »Ich hab sie nicht umgebracht.« Er kam auf mich zu, und ich fragte mich, ob Sylvie nicht vielleicht auf einem Boot ermordet worden war. Diesem Boot. Ich fragte mich, ob nicht vielleicht irgendwo versteckt hinter der Bordverkleidung ein Säbel für emotionale Extremsituationen wie diese bereitlag. Keiner von uns beiden hob den Blick, als in der Ferne das Feuerwerk begann. Eine gigantische Sternenrakete explodierte direkt über uns und tauchte uns in einen rosafarbenen Lichtschein. Darauf folgte sofort eine weitere Rakete und färbte uns grün.
    Ich sagte: »Das weiß ich bis jetzt nicht, aber es wird sich früh genug herausstellen.«
    »Sie sind sich verdammt sicher, nicht wahr?«
    »Ja. Warum starten Sie jetzt nicht den Motor wieder, damit ich zurück zur Arbeit komme?« Die nächste Farbexplosion ließ uns gelb erscheinen, ehe die Szenerie sich wieder schwarz färbte.
    »Zuerst will ich den Obduktionsbericht lesen. Hier auf dem Wasser, wo mich niemand stört. Sie haben den gewünschten Schock bei mir ausgelöst, ganz so wie Sie es geplant haben. Jetzt geben Sie mir diese gottverdammte Mappe. Sylvies Vater wird wissen wollen, wie sie ums Leben kam, und ich will ihm die Wahrheit sagen.«
    Ich händigte ihm die Mappe wortlos aus. Er nahm sie mit ins Cockpit, nahm vor dem Steuerrad Platz und knipste eine Lampe über seinem Knopf an. Ich sah, wie sein Kiefer arbeitete, als er die Fotos nacheinander durchblätterte. Dieses Mal zeigte er keine sichtlichen Reaktionen, aber er las jede Seite sorgfältig durch, wobei er immer wieder mal ein Foto von der Rückseite herausnahm, um es mit dem schriftlichen Bericht zu vergleichen. Es dauerte mindestens eine halbe Stunde, in der ich schweigend in dem schaukelnden Boot saß und mir das prächtige Feuerwerk ansah. Er hingegen sah kein einziges Mal zu dem Spektakel am Himmel auf. Ihm hatte ich es zu verdanken, dass ich mich wie die bereits erwähnte Käferlarve fühlte, und ich hatte es verdient.

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