Der stille Schrei der Toten
Kopf wieder festgemacht? Abartig. Sag lieber nichts mehr. Gleich gibt’s was zu essen.« Wir hatten überhört, dass Dottie über die hintere Veranda hereingekommen war. Sie trug Khakishorts und ein hellblaues Top mit einem roten Glitzerherz vorne drauf. Lächelnd präsentierte sie uns ihren üppigen, aus Sonnen- und Wolfsbarschen bestehenden Fang. »Ich habe eine Stelle entdeckt, die ist ein wahrer Geheimtipp. Gar nicht so weit entfernt von Susans Stelle, und es wimmelt da nur so von Fischen. Leider ist der Steg alt und wackelig und ziemlich zugewachsen. Ich würde alles dafür geben, wenn ich dir die Stelle mal zeigen könnte, Harve. Du würdest dir vorkommen wie auf einem Logenplatz im Nirwana.«
Logenplatz im Nirwana? Derlei sagte Dottie ständig. Nicht Anglerparadies oder etwas in der Art, sondern Logenplatz im Nirwana. Dottie war wirklich einzigartig. Strahlend sagte sie zu mir: »Du bleibst doch zum Abendessen, oder? Ich will hören, wie du diesen irre gut aussehenden Dr. Black findest.«
»Ich muss leider passen, Dot. Ich will zu Sylvies Bungalow zurück und mich noch mal umsehen dort. Und übrigens, ja, Black ist genau der Wahnsinnstyp, als den du ihn beschrieben hast.«
Dottie deponierte ihren Nirwana-Fang schwungvoll in der Küchenspüle. »Ich wette, sogar du hast die Schwingungen gespürt, oder? Ich hab’s doch gesagt. Er haut einen glatt um, nicht wahr?«
»Sogar ich?« Das saß. Aber die Wahrheit tat manchmal weh. Ich hatte, seit wir uns kannten, nie etwas mit einem Mann gehabt. Was würde sie sich sonst noch denken? »Er ist in den Fall verwickelt, was automatisch bedeutet Hände weg, selbst wenn ich interessierte wäre, aber ich bin es nicht.« Manchmal sage ich nicht immer ganz die Wahrheit. »Ich glaube nicht, dass er der Täter ist, aber vieles an ihm ist mir einfach schleierhaft.«
Harve sah mich interessiert an. »Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel hat er gesagt, er kenne Sylvies Familie kaum, aber ich habe gesehen, wie er Angehörige des Personals umarmte, die wiederum den Eindruck erweckten, als würden sie gleich auf die Knie fallen und seinen Ring küssen.«
»Meinst du, er arbeitet für die Familie Montenegro?«
Ich sagte: »Er schmeißt mit dem Geld geradezu um sich, unvorstellbar, auch für einen Arzt und Immobilienhai. Gut möglich, dass er seinen luxuriösen Lebensstil mit schmutzigem Geld mitfinanziert. Vielleicht wäscht er es für sie.«
»Wer sind eigentlich diese Montenegros?« Dottie wusch sich die Hände und trocknete sie an einem Geschirrtuch ab, während sie an den Tisch herantrat. Als sie nach der Mappe griff, legte Harve die Hand darauf, ehe sie sie fassen konnte. »Fotos von der Obduktion. Nichts für dich, Liebes.«
»Oh mein Gott, nein, niemals. Danke für die Warnung. Aber wer sind die Montenegros?«
»Sylvies Vater ist, wie sich herausgestellt hat, eine wichtige Figur der kriminellen Szene in New Orleans. Es heißt, sie bilden eine Art Mafia.«
Harve sagte: »Und damit ist jede Menge Ärger vorprogrammiert.«
»Jacques Montenegro ließ mich wissen, ›seine Nachforschungen würden auf Hochtouren laufen‹, um ihn zu zitieren. Das könnte einen Mafiakrieg auslösen, zum großen Vergnügen der Agenten vom FBI. Sie sind schon alarmiert.«
Dottie schlang sich eine Schürze um den Hals und band sie auf dem Rücken zu. Sie klatschte einen Barsch auf ein Holzbrett und schlug den Kopf mit einem Hackbeil ab. »Du glaubst also, Dr. Black macht gemeinsame Sache mit einem Verbrecherclan?« Sie schüttelte den Kopf, während sie den Fisch säuberte. »Wer hätte das gedacht?«
»Ich habe ihn in Verdacht, ein wesentlich engeres Verhältnis zu Sylvie gehabt zu haben, als er bereit ist zuzugeben. Möglicherweise hatte er während seiner Ehe eine Affäre mit ihr und will nicht, dass das bekannt wird. Immerhin ist sie seine Patientin, und er muss seinen guten Ruf als Psychiater wahren. Bud ist momentan in New York, um seine Exfrau zu vernehmen. Es ist auf alle Fälle interessant, was sie zu sagen hat.«
»Bleib doch zum Essen, Claire.« Dottie drehte sich um und sah mich flehend an. »Bitte, ich will alles genau wissen. Wir sehen dich kaum noch. Übrigens, deine Post hinterlasse ich auf der Schaukel auf deiner Veranda, ungefähr drei Tage, dann nehm’ ich sie mit.«
»Danke. Aber auf die Einladung komm ich ein andermal zurück, versprochen. Ich habe den Bericht über meine Stippvisite in New Orleans noch nicht fertig, und Charlie ist in dieser Hinsicht sehr
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