Der stille Schrei der Toten
mein Okay, worauf er mit der Hand kurz grüßte und verschwand. Ich hatte mich kaum von der Yacht entfernt, da nahm sie schon Fahrt auf in Richtung Cedar Bend.
Leben mit Vater
Der Vater war nur noch nett, nachdem die Köchin gegangen war. Er und Blage versorgten die Leichen im Keller oft gemeinsam, und er bedachte Blage mit Geschenken. Er kaufte Blage einen Computer und einige Spiele dazu. Blage war von dem Computer begeistert und nahm ihn manchmal mit in den Kühlraum, damit auch die Mutter damit spielen konnte. Der Vater machte mit ihm Spritztouren in ihrem nagelneuen grünen Kombi, den sie in der Scheune abstellten, und manchmal, nachts, auf einsamen Landstraßen, wo sie niemand sehen konnte, durfte Blage sogar selbst ans Steuer. Etwa in dieser Zeit begann der Vater, Blage bestimmte Spritzen zu verabreichen, die ihn, wie er sagte, gefügig machen sollten und ihn die Regeln einhalten ließen.
»Du wirst so schrecklich maskulin, Blage. Ich will dich weiblicher haben, so wie deine Mutter war. Ich werde dir helfen, weich und lieb zu werden, wie du früher mal gewesen bist.«
Eines Tages trank der Vater zu viel Whiskey, und er gab Blage wieder einmal eine Spritze; daraufhin zog er Blage aus, legte ihn auf den Balsamiertisch aus Edelstahl und band ihn an den Hand- und Fußgelenken mit silberfarbenem Isolierband fest. »Ich habe mir den Mund fusslig geredet, dass du weiblicher werden sollst, und nun sieh an, wozu du mich zwingst. Ich mache das wirklich nicht gerne, Blage, aber du lässt mir keine andere Wahl.«
Blage wand sich in seinen Klebebandfesseln, aber der Vater griff dennoch zum Skalpell. »Eines Tages wirst du mir dafür danken«, sagte er, und schon im nächsten Moment schrie Blage auf vor Schmerz, als das Skalpell sein Werk vollzog.
Zwei Wochen später konnte Blage wieder laufen, wenn auch nur langsam und unter Schmerzen. Benommen von den Schmerzmitteln, die der Vater ihm spritzte, ging Blage in den Kühlraum, wo die Toten sich um ihn versammelten, um zu sehen, was der Vater da Schreckliches getan, vernäht und unter einem weißen Gazeverband verborgen hatte. »Dafür muss er sterben«, sagte eine junge Mutter, die im Kindbett verstorben war. »Nie und nimmer würde ich meinem eigenen Fleisch und Blut etwas so Schreckliches antun«, sagte Blages Mutter. »Ja, er ist durch und durch böse. Er muss sterben.«
»Ja, Blage, er muss sterben«, stimmten sie alle ein.
Also ging Blage mitten in der Nacht in die Küche und holte das große Hackmesser aus der Schublade und nahm es mit nach oben, wo der Vater im Vollrausch dalag und schnarchte. Er holte weit aus, das Messer schwebte über dem Kopf des Balsamierers, und ließ es heruntersausen. Von einem dumpfen Knall begleitet schlug es im Genick des Vaters auf und trennte den Kopf vom Rumpf. Eine Fontäne aus Blut ergoss sich über Blages Arme und das Gesicht, das Bett und die Wand, Blage jedoch hackte weiter auf den Vater ein, bis nur mehr eine breiige Masse übrig blieb und der rote Feuerstrom in Blages Innerem wieder kühl und blau sachte dahinfloss.
Dann nahm Blage eine Dusche, packte das Hackmesser und das Abziehleder, das Notebook und die Computerspiele und andere wichtige Dinge in eine Reisetasche. Dann ging er in den Kühlraum hinunter und holte die große braune Geldkassette hervor, die der Vater im obersten Regal ganz hinten im Kühlraum hinter den Leichen aufbewahrte. Der Vater hatte kein Vertrauen zu Banken, was auch schon bei seinem Vater und seinem Großvater so gewesen war. Die Kassette war randvoll mit Geld aus dem Familienunternehmen, das sich über viele Jahre hinweg angesammelt hatte, Tausende von Dollar. Blage stellte die Kassette auf der untersten Treppenstufe ab und ging dann zurück, um seinen Freunden im Kühlraum Lebewohl zu sagen. Blage verabschiedete sich von seiner Mutter und sagte ihr, dass sie ihn nie mehr wiedersehen würde. Diese jedoch antwortete: »Du hast gesagt, du würdest mich nie verlassen, so wie ich dir versichert habe, dich nie zu verlassen.« Dann weinte sie, und Blage ertrug es nicht, sie weinen zu hören oder sie zurückzulassen. Also nahm Blage das Hackmesser aus der Reisetasche und trennte ihren Kopf ab und steckte ihn in eine Supermarkttasche aus braunem Papier. Er flüsterte: »Sorge dich nicht, Mutter. Wir werden für immer zusammensein, versprochen.«
Blage brachte den Kopf der Mutter und die Reisetasche und andere wichtige Dinge nach draußen und verstaute sie in dem grünen Kombi. Dann ging er wieder ins
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