Der stille Schrei der Toten
verpackt sozusagen und mit Schleife oben drauf. Diesen Schritt wollte ich erst unternehmen, wenn ich nachweisen könnte, dass Black etwas mit Sylvies Ermordung zu tun hatte, ein Verdacht, der, wie ich selbst zugeben musste, auf tönernen Füßen stand.
»Black will unsere Ermittlungsarbeit unterstützen«, sagte ich abschließend mit einem Seitenblick zu Bud. »Du kennst seine einschlägige Erfahrung. Er hat sich viele ungeklärte Fälle angesehen und kann beachtliche Erfolge als Profiler vorweisen. Er hätte gern Einblick in den Ermittlungsstand, um uns seine Sicht der Dinge darzulegen. Dann, so hat er versprochen, würde er sich heraushalten und den Rest uns überlassen. Er beharrt weiterhin auf seiner Unschuld und darauf, dass er nichts mit Sylvies Ermordung zu tun hat. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt glaube ich, dass er die Wahrheit sagt. Bloß Beweise habe ich keine, weder in der einen noch in der anderen Richtung.«
»Nick ist kein Psychopath. Zu einer derart perversen Tat wäre er gar nicht fähig«, sagte Charlie. »Herrgottnochmal, ich kenne ihn seit zehn Jahren.« Natürlich wussten wir alle, dass man Psychopathen nicht daran erkannte, wie sie sich in ihrem Alltag ihren Mitmenschen präsentierten. Ich sagte nichts dazu, aber mir fiel in dem Zusammenhang dieser Typ aus Chicago ein, der die vielen kleinen Jungs umgebracht und sie in seinem Keller verscharrt hatte. John Wayne Gacy, wie er hieß, trug nicht nur den Namen eines unserer Nationalhelden, er hatte obendrein auch noch nebenbei als Clown gearbeitet, um sich auf Kinderpartys etwas dazuzuverdienen. Ich fragte mich, was sich wohl alles unter den Kellern von Blacks Häusern befand oder, an Stühlen festgebunden, auf dem Grund des Sees unter seiner Yacht.
»Nun, ich warte?«, sagte Charlie ungeduldig. Er hatte mehrere Antistressbälle auf dem Tisch liegen, und wenn er keinen Appetit auf sein Magenmittel hatte, knetete er sie nacheinander durch. Im Moment bearbeitete er einen davon mit seiner linken Hand. Er wäre, glaube ich, ein Wahnsinnsmelker, vorausgesetzt, die armen Kühe hielten seinem Eifer stand. »Was meinst du Claire? Willst du seine Hilfe annehmen? Die Entscheidung liegt bei dir. Du bist die Chefermittlerin.«
Das stimmte nicht ganz. Die Entscheidung lag bei ihm, was wir beide wussten. Vermutlich wollte er einfach nett sein. »Angeblich soll er ja recht gut sein. Wir könnten ihm einige Fakten offenlegen, und wenn er uns dann weiterhelfen könnte, wäre das doch nicht schlecht. Und wer weiß, wenn ich mit ihm zusammenarbeite und er der Schuldige sein sollte und uns was vormacht, vielleicht verheddert er sich ja, sodass ich ihn festnageln kann. Wie auch immer, wir würden davon profitieren. Und ich komme auf alle Fälle allein zurecht.«
Charlie sah mich nachdenklich an und richtete den Blick auf Bud, der mich ebenfalls nachdenklich ansah. Ich wusste genau, worüber die beiden nachdachten. Ich spürte, wie mein Gesicht heiß wurde; hoffentlich war es nicht so rot, wie es sich anfühlte. Ich fasste an mein Kinn. Okay, ich war von ein paar billigen Ganoven lebensgefährlich bedroht worden wie ein Frischling von der Polizeiakademie. Das war bitter, würde aber nicht wieder passieren. Ich hatte die Situation einfach unterschätzt. Woher hätte ich denn wissen sollen, dass Black Kontakte zur Unterwelt pflegt?
»Ich komme allein zurecht«, wiederholte ich, dieses Mal jedoch von einem Stirnrunzeln begleitet.
»Was gibt’s von der Exfrau zu sagen?«, wandte sich Charlie an Bud. »Kommt sie als Täterin in Frage?«
»Ihr Alibi ist absolut wasserdicht. Am fraglichen Abend hatte sie eine Soiree in ihrem Loft in Manhattan. Genauso hat sie sich ausgedrückt: eine So-a-reeeh. Der Budenzauber, zu dem jede Menge Schicki-Micki-Volk geladen war, dauerte bis drei Uhr morgens. Sie hatte sogar einen Sicherheitsmann engagiert, einen ehemaligen Beamten vom New York Police Department. Er bürgt für sie.«
»Was ist mit Nicholas Black?«, fragte ich. »War er auch da?›
»Nein. Er war nicht nur nicht auf der Party, sondern sie sagte auch, sie habe ihn schon seit mehr als einem Monat weder gesehen noch gesprochen. Als sie das sagte, klang so viel Verehrung für ihn durch, dass es mir fast peinlich war, dass er sie verlassen hatte. Sie liebt ihn, eindeutig, und sie sagte auch, sie habe die Scheidung nicht gewollt, sondern er. Angeblich lieben sie einander noch immer, und damals hätten sie es nur deshalb nicht miteinander geschafft, weil beiden die Karriere
Weitere Kostenlose Bücher