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Der stille Schrei

Der stille Schrei

Titel: Der stille Schrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Specht
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uns schweigen. Draußen hupte ein Auto. Ich wandte den Blick zum Fenster und wollte dieses völlig unpassende Geräusch mit meinem Blick auslöschen. Der Ton verschwand. Ich hatte Erfolg. Langsam drehte ich meinen Kopf, voller Angst. Ich wollte ihn ansehen und traute mich doch nicht.
    Seine Stimme holte mich in die Wirklichkeit zurück. „Du bist Claudia!“
    Mein Kopf zuckte herum. Was sollte das?
    „Yeah, you are Claudia!“, wiederholte er in seinem deutschamerikanischen Idiom.
    Immer dann, wenn ich nichts mehr zu sagen oder zu denken hatte, kamen die beiden inneren Stimmen mächtig zu Wort. Du bist doch nicht Claudia! Lass dir das nicht gefallen! Die andere sprach viel leiser: Achte darauf, wie er mit dir umgeht. Ich beschloss, der leiseren Stimme zu folgen.
    „Claudia? Wieso?“
    Nun schien er seinen inneren Stimmen zu lauschen, denn er hielt seinen Kopf ein wenig schief. Nach einer kleinen Ewigkeit dann: „Ich weiß es nicht.“
    Dieser Satz verblüffte mich und machte mich wütend und ängstlich zugleich. Es war mein Satz! Aber er veralberte mich nicht. Das war klar. Wie kam er aber dazu, diesen Satz zu sagen? Meinen Satz?

MORDAUFTRAG
    Gestern war ich dann irgendwann   aus dem Oval Office im badischen Dorf hinausgegangen. Nach Hause gefahren. Mein Roadster fuhr mich aus Bad Orb über die Wegscheide hinunter bis nach Burgjoss. Eine sehr kurze Zusammenfassung der Strecke, die in meinem Kopf gar nicht stattfand. Ich war mit meinen Gedanken ganz woanders.
    Claudia. Konnte das stimmen? Meine Gedanken gingen 25 Jahre zurück. Auf den Schulhof. Die vielen Jungs. Ich spielte mit ihnen. Sie ließen mich mitspielen. Fußball. Steine werfen. Das Ohnmachtsspiel. Rief da jemand meinen Namen?
    Das Garagentor öffnete sich, weil mein Mittelfinger die richtige Taste gefunden hatte. Ich stellte den Wagen ab, fast gar nicht registrierend, dass der Jaguar in der Garage stand. Doch mein ängstlicher Teil nahm es natürlich wahr.
    Als ich die Haustür aufschloss, hörte ich seine laute dröhnende Stimme sofort. „Na klar, das machen wir so. 100 Mille? Kein Problem.“ Er lachte wieder wie ein Erdbeben. Ich spürte die Schwingungen an meinen Fußsohlen. „Und natürlich ohne jede Spuren. Alles klar?“
    Er beendete das Gespräch und sah mich an. „Da bist du ja wieder.“
    Scharf analysierte ich seine beiden Augen. Ich konnte keinen Unterschied erkennen. Freundlich, freundlich. Was war hier los?
    „Ich bin ein wenig früher nach Hause gekommen, weil wir in der Firma einen sehr erfolgreichen Abschluss tätigen konnten.“ Er schaute mir tief in die Augen. Es hörte sich glaubwürdig an. Doch was hatte er zuvor noch gesagt?
    „Zum Abendessen habe ich der Jossastube Bescheid gegeben, dass wir die große Balkanplatte wollen. Für zwei Personen. Sie liefern es um kurz nach sechs. In Ordnung?“
    Irgendetwas stimmte hier nicht. So kannte ich ihn nicht. Er ging nach unten in sein Sportstudio. „Ich stemme ein paar Gewichte, weil ich mich nicht ausgelastet fühle. Du kannst ja schon mal das Bier kaltstellen.“ Mit diesen Worten verschwand er.
    Wie immer, wenn ich völlig ratlos war, diskutierten meine beiden Stimmen und ich hörte ihnen zu. Der spinnt, da stimmt etwas nicht, sagte die eine. Die andere: alles in Ordnung, er hatte einfach nur einen guten Tag.
    Ich hatte keine Meinung. Also stellte ich die Bierflaschen kalt und spülte das Weizenbierglas, das er am meisten liebte. Er hatte eine kleine Sammlung davon. Zwei hatte er angeblich in München beim Oktoberfest geklaut. Das waren seine Lieblingsgläser. Das eine davon trug ein blaues Herz. Bis heute wusste ich nicht, was es bedeutete. Aber aus diesem Glas trank er am liebsten.
    Tim kam mir in den Sinn. Claudia. Karl hatte es mal wieder fast geschafft, allein durch seine Anwesenheit alle meine Gedanken auszulöschen. Hieß ich wirklich so?
    Ich ließ diesen Gedanken sehr lange einfach so stehen. Dann kam die nächste Frage: War es wichtig?
    Nachdem ich alles vorbereitet hatte, setzte ich mich auf das Sofa und legte eine schöne CD ein. Wenn ich es recht bedachte, die einzige Gemeinsamkeit, die mich noch mit Karl verband. Ja, und auch das Haus, in dem ich lebte. Karl liebte die aufmüpfigen Lieder des Franz-Josef Degenhardt, eines deutschen Liedermachers aus den 1970er Jahren. „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder. Geh doch in die Oberstadt …“ Ich hatte mich in dieses Lied verliebt. War es nicht auch eine Analogie auf Karl, den Aufsteiger aus

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