Der Stolz der Flotte
Delegierte?«
»Bin ich.« Mit wachsender Nervosität sah er zu, wie der Wirt einen schäumenden Tonkrug mit Ale und ein paar Humpen anbrachte. »Du bleibst in deiner Küche!«
Etwas ruhiger fuhr er fort: »Nun, Captain, haben Sie sich entschlossen, unsere Bedingungen anzunehmen?«
»Ich wüßte nicht, daß wir irgend etwas abgesprochen hätten.« Bolitho hob den Humpen und merkte mit Befriedigung, daß seine Hand noch ruhig war. »Ihr habt ein Schiff in eure Gewalt gebracht. Das ist Meuterei, und wenn ihr weiter auf eurem Plan beharrt, auch noch Hochverrat.«
Seltsamerweise schien der Mann eher befriedigt als zornig zu sein.
»Da hört ihr’s, Jungs! Mit solchen Leuten ist nicht zu verhandeln. Statt Zeit zu vergeuden, hättet ihr gleich auf mich hören sollen!«
Ein grauhaariger Deckoffizier fuhr dazwischen: »Sachte! Vielleicht erzählst du ihm erst mal das andere, worüber wir uns geeinigt haben?«
»Du Narr!« Der Sprecher wandte sich wieder an Bolitho. »Ich wußte, daß es so kommen würde. Die Jungs in Spithead haben gewonnen, weil sie zusammengehalten haben. Nächstes Mal lassen wir uns durch keine verdammten Versprechungen auseinanderbringen!«
Der Deckoffizier sagte rauh: »Würden Sie sich bitte dieses Buch ansehen, Sir.« Er schob es über den Tisch und blickte Bolitho dabei fest ins Gesicht. »Dreißig Jahre fahre ich zur See, als Junge und als Mann, und ich war noch nie an so einer Geschichte beteiligt, bei Gott nicht, Sir.«
»Deswegen hängen sie dich doch, du Narr«, sagte der Sprecher verächtlich. »Aber zeig’s ihm ruhig, wenn dir davon besser wird.«
Bolitho schlug das leinengebundene Buch auf und durchblätterte die Seiten. Es war das Strafbuch der Fregatte; und als er die saubergeschriebenen Eintragungen überflog, drehte sich ihm vor Abscheu der Magen um.
Keiner der Männer konnte wissen, was das Buch für ihn bedeutete. Sie versuchten nur, ihm zu zeigen, was sie durchgemacht hatten. Aber grundsätzlich sah sich Bolitho bei jedem Schiff, das er übernahm, zuerst das Strafbuch an. Er war überzeugt, daß es besser als alles andere zeigte, was der vorherige Kommandant für ein Mensch war.
Er wußte, daß sie ihn beobachteten, und spürte die Spannung im Raum wie etwas Körperliches. Die meisten der aufgeführten Vergehen waren banal und ziemlich typisch: ungebührliches Betragen, Ungehorsam, mangelnde Sorgfalt im Dienst, Unverschämtheit. Er wußte aus Erfahrung, daß sie größtenteils nicht viel mehr bedeuteten als Unwissenheit des Betreffenden.
Aber die Strafen waren furchtbar. Allein in einer Woche, in der die
Auriga
Patrouille vor Le Havre gefahren war, hatte der Kommandant insgesamt tausend Peitschenhiebe verhängt. Zwei Mann waren in dieser Woche zweimal ausgepeitscht worden; einer war daran gestorben.
Er klappte das Buch zu und sah hoch. Es gab dazu viele Fragen. Warum hatte der Erste Offizier nichts unternommen, um dieser Brutalität Einhalt zu gebieten? Aber das war natürlich Unsinn. Was hätte zum Beispiel Keverne dagegen tun können, wenn sein Kommandant solche Strafen verhängt hätte? Bei dieser Vorstellung stieg plötzliche Wut in Bolitho hoch. Er hatte oft genug bemerkt, wie die Leute ihn ansahen, wenn etwas nicht klappte. Und das kam gar nicht so selten vor, denn die Bedienung eines Linienschiffes war eine komplizierte, schwere Arbeit. Manchmal lag wildes Entsetzen in diesen Blicken, und das machte ihn jedesmal ganz krank. Der Kommandant, jeder Kommandant, kam gleich nach Gott, soweit es die Mannschaft betraf: ein höheres Wesen, das mit einer Hand Beförderungen und mit der anderen die schlimmsten Strafen austeilen konnte. Der Gedanke, daß manche, wie der Kommandant der
Auriga
,
diese Macht mißbrauchten, war abscheulich.
Langsam sagte er: »Ich möchte an Bord kommen und mit Ihrem Kommandanten sprechen.« Ein paar Männer wollten gleichzeitig etwas sagen, aber er sprach weiter: »Ohne das kann ich nichts tun.«
Der Hauptdelegierte sagte: »Sie mögen ja die anderen eingewickelt haben, aber ich durchschaue Sie.« Zornig fuhr er mit der Hand durch die Luft. »Zuerst tun Sie, als ob Sie Mitgefühl mit uns haben, und dann liefern Sie uns an den Galgen, damit jeder Seemann sieht, was es einbringt, einem Offizier zu trauen!«
Allday fluchte und wollte aufspringen, sah aber Bolitho nur hilflos an, als dieser sagte: »Nur Ruhe, Allday! Wenn ein Mann denkt, es ist Zeitverschwendung, ein Unrecht gutzumachen, dann hat es keinen Sinn, mit ihm zu
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