Der Stolz der Flotte
schwanken, denn die
Euryalu
s
dümpelte gemächlich in Wind und Tidenstrom. Wieder wurde er sich der Totenstille bewußt, die sich über das Schiff gesenkt hatte, seit Keverne heruntergekommen war und ihm gemeldet hatte, daß das Deck klar und es kurz vor acht Glasen sei.
Er nahm seinen Hut und blickte sich kurz in der Kajüte um. Ein guter Tag zum Auslaufen. Eine frische südwestliche Brise war aufgekommen, die Luft war frisch und sauber. Mit einem Seufzer ging er am Tisch und dem unberührten Frühstück vorbei durch die Tür mit dem strammstehenden Posten davor und trat hinaus auf das sonnenhelle Achterdeck.
Keverne wartete schon. Sein brünettes Gesicht war undurchdringlich, als er an den Hut faßte und dienstlich meldete: »Zwei Minuten, Sir.«
Bolitho musterte den Leutnant nachdenklich. Wenn Keverne über den plötzlichen Verlust seiner Aussicht auf ein selbständiges Kommando enttäuscht war, so zeigte er es jedenfalls nicht. Und wenn er sich über die Gefühle seines Kommandanten Gedanken machte, so verbarg er das ebenfalls.
Bolitho nickte und schritt langsam zur Luvseite des Decks, wo die Leutnants des Schiffes bereits Aufstellung genommen hatten. Etwas weiter nach Lee zu standen die höheren Deckoffiziere und die Midshipmen in sauber ausgerichteten Reihen, die mit den Schiffsbewegungen leise schwankten.
Ein rascher Blick nach achtern bestätigte ihm, daß Giffards MarineInfanteristen vor der Kampanje aufmarschiert waren. Ihre roten Röcke leuchteten grell in der Sonne, ebenso die weißen, gekreuzten Schulterriemen und die blankgewichsten Stiefel.
Er wandte sich um, trat zur Achterdecksreling und ließ seine Augen über die Masse der Matrosen gleiten, die sich auf den Decksgängen, bei den aufgeblockten Booten drängten, sich am Rigg festhielten, als wollten sie um keinen Preis das bevorstehende Drama versäumen. Aber die dumpfe Stille, die Atmosphäre grimmiger Erwartung verrieten ihm, daß sie in diesem Falle, so abgebrüht und so gewohnt an schnelle, harte Disziplinarstrafen sie auch sein mochten, kein Ve rständnis für das Urteil hatten.
Acht Glasen tönten vom Vorschiff, und er sah, wie die Offiziere Haltung annahmen: Broughton, von Leutnant Calvert begleitet, kam flotten Schrittes auf das Achterdeck. Wortlos faßte Bolitho an den Hut.
Die Luft über dem Ankerplatz erzitterte von einem einzelnen, dumpfen Kanonenschuß. Dann folgte der trübselige Wirbel der Trommeln. Er sah, wie der Schiffsarzt unten an der Fallreepspforte mit Tebutt flüsterte; der eine seiner beiden Maate trug den wohlbekannten roten Leinwandsack. Letzterer schlug die Augen nieder, als er sah, daß sein Kommandant ihn anblickte.
Broughtons Finger trommelten auf den Griff seines schöngearbeiteten Degens, anscheinend im Takt mit dem fernen Trommelwirbel. Er sah so entspannt und frisch aus wie immer.
Bolitho versteifte sich, als er sah, daß sich einer der jungen Midshipmen mit der Hand über den Mund fuhr, eine rasche nervöse Bewegung, die unvermittelt eine Erinnerung wach werden ließ, wie den Schmerz einer alten Wunde.
Er selbst war erst vierzehn gewesen, als er zum erstenmal eine Auspeitschung durch die ganze Flotte hatte mitansehen müssen. Das meiste davon hatte er nur durch einen Nebel von Tränen und Übelkeit wahrgenommen und war diesen Alpdruck nie ganz losgeworden. In einem Dienst, bei dem die Peitsche ein ganz gewöhnliches, allgemein akzeptiertes Strafmittel war, in manchen Fällen sogar ein durchaus gerechtfertigtes, war diese schwerste Form auch die schlimmste für die Zuschauer, die sich dabei fast ebenso erniedrigt vorkamen wie der Delinquent.
»Wir werden heute nachmittag Anker lichten, Bolitho«, bemerkte Broughton beiläufig. »Unser Ziel ist Gibralter, wo ich weitere Order und Nachricht über die neuesten Entwicklungen erhalten werde.« Er sah zu seiner Flagge am Fockmast hoch und schloß: »Ein prächtiger Tag dafür.«
Bolitho blickte zur Seite und versuchte, seine Ohren vor dem nicht endenwollenden Trommelwirbel zu verschließen.
»Alle Schiffe sind voll provisioniert, Sir.« Er hielt inne. Broughton wußte das so gut wie er selbst. Es war nur, um etwas zu sagen. Warum machte dieses eine Geschehen alles zunichte? Er mußte doch inzwischen begriffen haben, daß er nicht mehr der junge Fregattenkapitän von früher war. Damals hatten die Menschen noch Gesichter gehabt und waren wirkliche Individuen gewesen. Wenn einer litt, dann spürte es das ganze überfüllte Schiff. Jetzt mußte er sich damit
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