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Der stolze Orinoco

Der stolze Orinoco

Titel: Der stolze Orinoco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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bestimmter Richtung hinzusteuern. Sie drehten sich völlig um sich selbst, wenn sie auf eine riesige Woge stießen, die einen furchtbaren Wasserschwall über ihren Bordrand ergoß. Durch diese Ueberlastung tiefer eingedrückt, wären sie zweifellos gesunken, wenn die Schiffsleute nicht ununterbrochen bemüht gewesen wären, das Wasser auszuschöpfen, und die Passagiere ihnen dabei nicht redlich geholfen hätten.
    Die flachbodigen Fahrzeuge, nur bestimmt, auf ruhigen Wasserflächen zu segeln, sind weder der Größe, noch der Gestalt nach geeignet, einen derartigen Sturm auszuhalten, und groß ist die Zahl derer, die bei den in der warmen Jahreszeit so häufigen Chubascos zwischen den Ufern des mittleren Orinoco zugrundegehen.
    Der Strom ist an dieser Stelle grade sehr breit. Er erweiterte sich schon von der Südspitze der großen Insel Guayartivari an. Man könnte ihn für einen großen Binnensee halten, der, im Osten und gegenüber der Mündung des Guaviare abgerundet, sich nach Süden in Trichterform fortsetzt. Hier können die Stürme unbehindert ihre Wuth entfalten, denn die Ilanos am Ufer haben weder Cerros noch Waldmassen, die ihre Kraft brechen könnten. Ein von solchem Unwetter überraschtes Fahrzeug hat nicht einmal, wie auf dem Meere, die Möglichkeit, sich ihm durch Flucht zu entziehen, sondern muß als einziges Rettungsmittel auf gut Glück auf das Ufer laufen.
    Die Mannschaften wußten das recht gut und vermochten doch nichts zu thun, um einer solchen Katastrophe vorzubeugen. Schon dachten sie daran, ehe sie gegen die Felsen stießen, ihre Personen zu retten, und das war nur dadurch möglich, daß sie sich in die schaumige Brandung stürzten und schwimmend das Ufer zu erreichen suchten.
    Die Herren Miguel, Felipe und Varinas hatten, trotz des Wüthens der Böe, das Deckhaus der »Maripare« verlassen, die durch überschlagende Wellen halb angefüllt war. Jetzt hielten sie sich für jede Möglichkeit bereit.
    Der eine von ihnen sagte nur beiläufig:
    »Das nennt man: im Hafen scheitern!«
    An Bord der »Gallinetta« bemühte sich der Sergeant Martial, nach Kräften ruhig und gefaßt zu bleiben. Wäre er allein gewesen und hätte er nur für sich selbst zu fürchten gehabt, so würde er wohl bald die Resignation des alten Soldaten gefunden haben, der ganz andern Gefahren ins Auge geblickt hat. Doch Jean… den Sohn seines Obersten… das Kind, das er bei dieser abenteuerlichen Reise zu begleiten und zu schützen übernommen hatte, wie konnte er es retten, wenn die Pirogue entfernt vom Ufer unterging? –
    Der Sergeant Martial konnte nicht schwimmen, doch wenn er es auch gekonnt hätte, was hätte er in den aufgeregten Fluthen, deren Wogen blitzgeschwind dahintrieben, auszurichten vermocht? Immerhin würde er sich im Nothfalle hineinstürzen, und wenn es ihm nicht gelang, Jean zu retten, so wollte er wenigstens mit ihm sterben.
    Der junge Mann hatte übrigens seinen Gleichmuth bewahrt, während der Sergeant Martial ihn mehr und mehr zu verlieren schien. Aus dem Deckhause heraustretend, klammerte er sich fest an einen Balken auf dem Hintertheile des Fahrzeugs an. Er sah wohl die Gefahr, wendete die Augen aber nicht davon ab, und seine Lippen murmelten den Namen seines Vaters.
    Einer wachte jedoch über ihn, ohne daß er es bemerkte, während die steuerlosen Piroguen nach der gleichen Seite dahintrieben und bald dicht nebeneinander, bald, durch eine überbrechende Woge getrennt, schaukelnd umhergeworfen wurden. Jacques Helloch verlor ihn nicht aus dem Auge, und wenn die Falcas dicht und nahe daran, eine die andre zu zerstören, aneinander dahinliefen, dachte er nur daran, ihm Muth zuzusprechen. Der junge Mann, der auch vor der drohenden Todesgefahr nicht erzitterte, bedurfte dessen freilich nicht.
    »Noch zwei Minuten, und wir sind am Strande, sagte Germain Paterne, der auf dem Vordertheile der »Moriche« stand.
    – Aufgepaßt, rief Jacques Helloch, jeder sei bereit, den andern zu retten!«
    In Folge der Krümmung, die der Strom da beschreibt, wo er sich mit der Mündung des Guaviare verbindet, war das linke Ufer des Orinoco jetzt nur noch zweihundert Meter weit entfernt. Durch die vom Regen und Hagel gebildeten Streifen sah man es, von den Dunstmassen, die seine Klippen umwogten, ganz weiß vor sich liegen. In wenigen Augenblicken mußte es erreicht sein, denn die Gewalt des Chubasco nahm noch immer weiter zu, und die von der Seite gepackten Piroguen tauchten zwischen den Wogenfurchen, immer Wasser

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