Der stolze Orinoco
nur geführt von einem alten Haudegen… denn eines wußte er: wenn sie abreiste, würde er sie selbstverständlich begleiten.
»Und doch hat mein guter Martial zuletzt nachgeben müssen, sagte Jeanne, ihre Mittheilungen beendigend, worin sie den zwei jungen Männern das Geheimniß ihrer Vergangenheit offenbart hatte. Ja, er hat nun zugestimmt, und das mußte er wohl; nicht wahr, mein alter Freund?
– Leider hab’ ich genügende Ursache, es zu bereuen, antwortete der Sergeant Martial, da trotz aller Vorsicht…
– Unser Geheimniß entdeckt worden ist! setzte das junge Mädchen lachend hinzu. Nun da bin ich eben nicht mehr Dein Neffe und Du bist nicht mehr mein Onkel. Herr Helloch und Herr Paterne werden davon aber keinem Menschen ein Wort sagen; nicht wahr, Herr Helloch?
– Keinem Menschen, geehrtes Fräulein!
– O, nicht Fräulein, Herr Helloch, beeilte sich Jeanne von Kermor zu widersprechen; die gefährliche Gewohnheit, mich so zu nennen, dürfen Sie gar nicht annehmen. Sie würden mich dabei zuletzt verrathen. Nein… Jean… nur Jean!
– Ja wohl… Jean… ganz kurz, höchstens der Abwechslung wegen: unser lieber Jean, sagte Germain Paterne.
– Und jetzt, Herr Helloch, werden Sie sich auch erklären können, was der gute Martial mir angesonnen hatte. Er wurde mein Onkel, ich sein Neffe. Ich habe mir das Aussehen eines jungen Mannes gegeben, mir das Haar abgeschnitten, und in dieser Weise verändert hab ich mich in Saint-Nazaire nach Caracas eingeschifft. Das Spanische war mir so geläufig wie meine Muttersprache – was im Verlauf der Reise von großem Nutzen sein mußte – und nun bin ich hier in San-Fernando! Wenn ich aber meinen Vater wiedergefunden habe, kehren wir über Havanna nach Europa zurück. Er muß jedenfalls einen Besuch der edelmüthigen Familie abstatten, die so lange seine Stelle an mir vertreten hat und der wir Beide so unendlichen Dank schulden!«
In Jeanne von Kermor’s Augen glänzte eine Thräne; sie faßte sich jedoch schnell und fuhr in ihrer Rede fort.
»Nein, lieber Onkel, nein, darüber ist nicht zu klagen, daß unser Geheimniß enthüllt worden ist. Gott hat es gewollt, ebenso wie es sein Wille war, daß wir zwei Landsleute, zwei wohlwollende und ergebene Freunde, unterwegs treffen sollten. Im Namen meines Vaters, meine Herren, danke ich Ihnen aus ganzer Seele für das, was Sie für mich bereits gethan haben und noch zu thun willens sind!«
Das junge Mädchen streckte die Hände Jacques Helloch und Germain Paterne entgegen, die sie mit freundschaftlicher Wärme drückten.
Am nächsten Tage nahmen die jungen Leute, der Sergeant Martial und Jean – diesen Namen legen wir ihm auch ferner für alle erforderlichen Fälle bei – Abschied von den Herren Miguel, Felipe und Varinas, die bereits ihre Vorbereitungen trafen, um die beiden Nebenflüsse, den Guaviare und den Atabapo, mit kritischer Brille zu besichtigen. Die beiden Collegen sahen den jungen Mann nicht ohne lebhafte
Besorgnisse, trotz der schützenden Begleitung seiner Landsleute, nach dem Bett des obern Orinoco weiterziehen. Herr Miguel wünschte ihm indessen von Herzen Glück zu dem Erfolg seiner Fahrt.
»Vielleicht finden Sie, liebes Kind, sagte er, uns bei Ihrer Rückkehr hier noch wieder, wenn wir, meine Collegen und ich, über unsre Streitfrage nicht haben einig werden können.«
Sie wurde von unwiderstehlichem Drange erfaßt… (S. 231)
Zuletzt verabschiedete sich auch der Gouverneur von San-Fernando und gab den Reisenden Briefe an die Vorstände der wichtigsten, stromaufwärts gelegenen Ortschaften mit; auch Herr Mirabal hatte sich eingestellt, um Jean noch einmal väterlich zu umarmen – und dann schiffte sich die kleine Gesellschaft auf ihren zur Abfahrt bereit liegenden Piroguen ein.
Selbst viele Einwohner des Ortes strömten herbei, der Abreise beizuwohnen. Hochrufe und Glückwünsche begrüßten die beiden Falcas, als sie vom linken Stromufer abstießen. Nachdem sie um die Felsmassen herumgekommen waren, die sich an der Stelle erheben, wo der Atabapo und der Guaviare ihre Fluthen mischen, steuerten sie nach dem Orinoco hinaus und verschwanden bald in der Richtung nach Osten.
Zweites Capitel.
Erste Etappe.
Die »Gallinetta« und die »Moriche« wurden wie seit der Abfahrt von Caïcara von den Schiffern Parchal und Valdez befehligt. Mit Parchal und dessen Leuten hatten Jacques Helloch und Germain Paterne wegen der Verlängerung der Fahrt keinerlei Schwierigkeiten gehabt. Für eine
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