Der stolze Orinoco
Tauschartikeln, wie mit Messern, Aexten, Glaswaaren, Spiegeln, Stoffen, doch auch mit Kleidungsstücken, Decken und einem reichlichen Vorrath an Munition. Das war eine weise Vorsicht, denn weiter stromaufwärts wurde es, von den nöthigsten Nahrungsmitteln abgesehen, gewiß sehr schwierig, sich derartige Gegenstände zu beschaffen. Was übrigens die Ernährung der Mannschaften betraf, durfte man erwarten, daß die Hammerleßbüchse Jacques Helloch’s und die Jagdflinte des Sergeanten Martial dazu genügende Beiträge liefern würden. Auch auf ergiebigen Fischfang war jedenfalls zu rechnen, denn an den Mündungen der zahlreichen Rios, die sich in den Oberlauf des Stromes ergießen, wimmelt es überall von schmackhaften Wasserbewohnern.
Abends gegen fünf Uhr legten die von der Brise getriebenen Piroguen an der äußersten Spitze der Insel Mina fast gegenüber dem Mawa an. Hier wurde ein Wasserschweinspärchen erlegt, und so brauchte weder für die Passagiere, noch für die Mannschaften auf den vorhandenen Mundvorrath zurückgegriffen zu werden.
Am nächsten Tage, am 4. October, ging die Fahrt unter ganz gleichen Verhältnissen weiter. Nach Zurücklegung einer fast ganz geraden, zwanzig Kilometer langen Strecke des Orinoco, der die Indianer den Namen Canon Nube gegeben haben, ankerten die »Moriche« und die »Gallinetta« am Fuße der merkwürdigen Felsen der Piedra Pintada.
Diese bilden den »Bemalten Stein«, dessen Inschriften Germain Paterne vergebens zu entziffern suchte, und die übrigens auch zum Theil überfluthet wurden. Die reichlichen Niederschläge der Regenzeit erhielten hier noch immer einen die normale Höhe übersteigenden Wasserstand. Jenseits der Mündung des Cassiquiare trifft man noch auf eine andre »Piedra Pintada« mit ganz ähnlichen hieroglyphischen Zeichen – eine Erinnerung an uralte Indianerrassen – die der Zahn der Zeit verschont hat.
Die Reisenden auf dem Alto Orinoco bringen die Nacht mit Vorliebe auf dem Lande zu. Sobald da unter Bäumen eine Art Lagerplatz hergestellt ist, bringen sie ihre Hängematten an niedrigeren Zweigen an und schlafen ruhig unter dem sternenbesäeten Himmel, wenn gerade Sterne flimmern, die dann aber am venezuolanischen Firmament immer schön sind. Die Passagiere hatten sich bisher freilich mit dem Obdach, das die Deckhäuser boten, begnügt und hielten es nicht für nothwendig, ihre Piroguen zu verlassen.
Wer unter freiem Himmel schläft, ist hier übrigens plötzlichen und heftigen, gerade in dieser Gegend häufigen Regenschauern ausgesetzt und auch noch andern Zufälligkeiten preisgegeben, die ebensowenig angenehmer Art sind.
Die beiden Schiffer Valdez und Parchal sprachen gerade an diesem Abend darüber.
»Wenn man dadurch von den Muskitos verschont bliebe, meinte der Erstere, dann wäre ja ein Nachtlager am Lande vorzuziehen. Die Quälgeister sind am Ufer aber ebenso zudringlich, wie auf dem Strome.
– Außerdem, ergänzte Parchal seines Collegen Rede, wird man dort noch von Ameisen überfallen, deren Bisse einen fieberhaften Zustand erzeugen können.
– Sind das nicht die, die man »Veinte y cuatro« nennt? fragte Jean, der sich durch fleißiges Studium seines Führers vielseitig unterrichtet hatte.
– Ganz recht, bestätigte Valdez, und zu jenen gesellen sich noch die Chipitas, kleine Insecten, die man mit bloßem Auge kaum sehen kann und die einen vom Kopf bis zu den Füßen zerstechen; ferner die Termiten, die so unerträglich sind, daß die Indianer vor ihnen nicht selten aus ihren Hütten entfliehen…
– Ohne von den Sandflöhen zu reden, setzte Parchal hinzu, und von den Vampyren, die ihrem Opfer das Blut bis zum letzten Tropfen absaugen…
– Und die Schlangen nicht zu vergessen, vervollständigte Germain Paterne diese Liste, die über sechs Meter lange Culebra mapanare und andre. Gegen sie sind mir die Muskitos doch noch lieber…
– Und ich mag weder von den einen, noch von den andern etwas wissen!« erklärte Jacques Helloch.
Dieser Ansicht schlossen sich Alle an. Das Nachtlager an Bord sollte also beibehalten werden, so lange kein Unwetter, wie etwa ein plötzlicher Chubasco, die Passagiere nöthigte, am Ufer Schutz zu suchen.
Im Laufe des Nachmittags gelang es noch, die Mündung des Rio Ventuari, eines bedeutenden rechtsseitigen Nebenflusses, zu erreichen. Es war kaum um fünf Uhr, und blieb also noch zwei Stunden lang tageshell. Auf Anrathen des Schiffers Valdez wurde jedoch schon hier Halt gemacht, denn oberhalb des
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