Der stolze Orinoco
seinen Oberst niemals wiedersehen sollte. Er veranlaßte mehrfache Schritte, um zu entdecken, in welchem Lande, fern von Allen, die ihn gekannt und denen er ein Lebewohl für immer gesagt hatte, er seine verzweifelte Existenz wohl begraben hätte.
Inzwischen wuchs das kleine Mädchen in der Familie ihrer Adoptiveltern heran. Ein Dutzend Jahre verliefen, ehe es den Eridia’s gelang. einige Aufklärung über die Angehörigen des Kindes zu erhalten. Endlich erfuhren sie aber, daß eine Frau von Kermor, die sich damals unter den Passagieren an Bord des »Norton« befunden hatte, die Mutter Jeannes gewesen sei, und daß deren Gatte, der Oberst gleichen Namens, noch lebe.
Das Kind war jetzt zu einem Mädchen von vierzehn Jahren geworden, das sich zu einer reizenden Erscheinung zu entwickeln versprach. Gut unterrichtet, ernsthaft und von lebhaftem Pflichtgefühl beseelt, verrieth sie eine für ihr Alter und Geschlecht ungewöhnliche Willenskraft.
Die Eridia’s glaubten sich nicht berechtigt, ihr die zuletzt erhaltenen Nachrichten zu verheimlichen, und von diesem Tage an schien es, als ob eine wirkliche Offenbarung über sie gekommen wäre. Sie hielt sich für berufen, ihren Vater wiederzufinden. Dieser Glaube beherrschte alle ihre Gedanken, er nahm sie so sehr gefangen, daß er eine sichtbare Veränderung ihres ganzen Wesens hervorbrachte. So glücklich sie sich sonst auch fühlte, so liebevoll sie in dem Hause, worin sie ihre Kindheit verbracht hatte, behandelt worden war, lebte sie doch nur noch in dem Gedanken, den Oberst von Kermor aufzusuchen. Bekannt war bisher nur, daß dieser sich in der Bretagne in die Nähe seiner Vaterstadt Nantes zurückgezogen hatte. Nun schrieb man dahin, ob er auch jetzt noch daselbst weile. Wie niederschmetternd lautete für das junge Mädchen aber die Antwort, die sie belehrte, daß ihr Vater schon seit einer Reihe von Jahren spurlos verschwunden sei.
Da erbat sich Fräulein von Kermor von ihren Adoptiveltern die Erlaubniß, nach Europa zu reisen. Sie wollte nach Frankreich, nach Nantes gehen, dort werde es ihr gelingen, die angeblich verloren gegangenen Spuren ihres Vaters zu entdecken. Wo die Bemühungen fremder Personen scheiterten, konnte ja eine Tochter, die sich mehr durch natürlichen Instinct leiten ließ, immer noch Erfolg haben.
Kurz, die Eridia’s stimmten, wenn auch ohne einen Funken von Hoffnung, ihrer Abreise zu und verpflichteten sie nur, zurückzukehren, wenn sich ihre Nachforschungen als vergeblich erwiesen. Fräulein von Kermor verließ also Havanna und traf nach glücklicher Ueberfahrt in Nantes ein, wo sie nur den Sergeanten Martial fand, der über das Schicksal seines Oberst noch ebenso im Unklaren war, wie früher.
Nun male man sich die Gemüthsstimmung des alten Soldaten aus, als dieses Kind, das man bei dem Unfalle des »Norton« mit umgekommen glaubte, die Schwelle des Hauses in Chantenay überschritt. Er wollte es erst nicht für wahr halten und mußte es schließlich doch glauben. Die Gesichtszüge Jeannes erinnerten ihn an die ihres Vaters, an seine Augen, an den ganzen Gesichtsausdruck, kurz, an Alles, was man an Aehnlichkeiten durch Bluterbschaft zu sehen gewöhnt ist. So nahm er denn das junge Mädchen gleich einem Engel auf, den ihm sein Oberst aus jener Welt geschickt habe.
Zu jener Zeit hatte er freilich schon jede Hoffnung aufgegeben, zu erfahren, nach welchem Lande sich der Oberst von Kermor in seiner verzweifelnden Trauer geflüchtet hätte.
Jeanne entschloß sich sofort, das väterliche Haus nicht gleich wieder zu verlassen. Das Vermögen, das der Sergeant erhalten hatte und das er ohne Bedenken bereit war, ihr wieder abzutreten, wollten Beide dazu verwenden, erneute Nachforschungen anzustellen.
Vergeblich bemühte sich die Familie Eridia, Fräulein von Kermor zur Rückkehr zu ihr zu bewegen; sie mußte sich schließlich in die Trennung von ihrer Adoptivtochter fügen. Jeanne dankte ihren Wohlthätern für Alles, was diese für sie gethan hatten, und bewahrte die wärmste Erkenntlichkeit für die, die sie vor Ablauf einer langen Zeit voraussichtlich nicht wiedersehen sollte. Für sie war aber der Oberst von Kermor noch am Leben, und das ließ sich vielleicht auch annehmen, da eine Nachricht von seinem Ableben weder dem Sergeanten Martial, noch einem seiner in der Bretagne zurückgelassenen persönlichen Freunde zugegangen war. Sie wollte ihn suchen, wollte ihn auf jeden Fall finden. Der Liebe des Vaters entsprach ganz die Liebe der Tochter,
Weitere Kostenlose Bücher