Der stolze Orinoco
erbot sich, die kleine Jeanne aufzunehmen. Ob das Kind jetzt in der Welt ganz allein dastand, konnte vorläufig niemand wissen. Einer der geretteten Matrosen erklärte zwar, die Mutter des kleinen Mädchens sei eine auf dem »Norton« eingeschiffte Französin gewesen, deren Name ihm aber unbekannt geblieben wäre. Den Namen konnte man auch nur nachträglich erfahren, wenn er bei dem Commissionär des englischen Dampfers vor dessen Abgang eingeschrieben wäre. Das war aber nicht der Fall, wie es sich bei der über den Zusammenstoß der beiden Schiffe eingeleiteten Untersuchung herausstellte.
Von den Eridia’s an Kindesstatt angenommen, folgte Jeanne diesen nach Havanna. Hier sorgten jene für ihre Erziehung, nachdem sie sich vergeblich bemüht hatten, zu erkunden, wem und welcher Familie sie eigentlich angehörte. Man gab der Kleinen hier den Namen Juana. Von Natur gut veranlagt, lernte sie eifrig und entwickelte sich geistig recht vortheilhaft bis zu ihrem vierzehnten Jahre, wo sie die französische Sprache ebenso vollkommen wie die spanische beherrschte. Die Geschichte ihres Lebens war Juana nicht verheimlicht worden. In Folge dessen fühlte sie sich immer nach Frankreich hingezogen, wo vielleicht ihr Vater lebte, der sie beweinte und sie wohl niemals zu sehen fürchtete.
Leicht wird man sich den Schmerz vorstellen können, den der Oberst von Kermor bei dem doppelten Schlage empfand, welcher ihn seiner Gattin und seines Kindes beraubte, das er noch nicht einmal kannte. Im Kriegsgetümmel des Jahres 1871 hatte er ja gar nicht erfahren, daß Frau von Kermor sich entschlossen hatte. Martinique zu verlassen, um zu ihm zu kommen. Er wußte also auch nicht, daß sie an Bord des »Norton« gegangen war. Und als er es erfuhr, ging ihm gleichzeitig die Nachricht von dem schrecklichen Schiffsunfälle zu. Vergeblich ließ er überall Nachfragen anstellen. Sie ergaben nichts andres als die Gewißheit, daß seine Gattin und sein Töchterchen mit der Mehrzahl der Passagiere und Mannschaften des Packetbootes zugrunde gegangen wären.
Die Trauer des Oberst von Kermor kannte keine Grenzen. Er verlor ja gleichzeitig die angebetete Lebensgefährtin und ein Kind, das von ihm noch nicht den ersten Kuß bekommen hatte. Die Wirkung dieses zweifachen Unglücks auf ihn war so mächtig, daß er den Verstand zu verlieren fürchtete; er erkrankte auch so schwer, daß die Familie von Kermor ohne die sorgsame Pflege seines alten Soldaten, des Sergeanten Martial, vielleicht mit ihm ausgestorben wäre.
Der Oberst überstand zwar die Krankheit, seine Genesung zog sich aber sehr lange hin. Da er sich jedoch einmal entschlossen hatte, auf seinen Beruf, der der Ehrgeiz seines ganzen Lebens gewesen war und ihm noch eine glänzende Zukunft in Aussicht stellte, zu verzichten, erbat er sich 1873, als er nur vierundvierzig Jahre zählte und in der Vollkraft des Lebens stand, seine endgiltige Entlassung.
Seit er diese erhalten hatte, lebte der Oberst von Kermor höchst zurückgezogen in einem bescheidenen Landhause von Chantenay-sur-Loire, in der Nähe von Nantes. Er empfing keinen Freund mehr und hatte als einzigen Gesellschafter den Sergeanten Martial, der gleichzeitig mit ihm den Dienst im Heere aufgab. Er war nur noch ein unglücklicher Verlassener nach einem Schiffbruche an menschenleerer Küste – nach einem Schiffbruche, der ihm alle irdischen Beziehungen geraubt hatte.
Zwei Jahre später verschwand der Oberst von Kermor gänzlich. Eine Reise vorschützend, verließ er Nantes, und ohne Nachricht über ihn erhalten zu können, wartete der Sergeant Martial vergebens auf seine Rückkehr. Zehntausend Francs Renten, die Hälfte seines Vermögens, hatte er dem ergebenen Waffengefährten zurückgelassen, und dieser bekam sie von dem Notar der Familie pünktlich ausgezahlt. Die andre Hälfte hatte der Oberst von Kermor flüssig gemacht und mitgenommen… wohin?… das sollte vorläufig ein undurchdringliches Geheimniß bleiben.
Die Schenkungsurkunde zu Gunsten des Sergeanten Martial war von einem Schreiben folgenden Wortlautes begleitet:
»Ich sage hiermit ein letztes Lebewohl meinem braven Soldaten, mit dem ich, was mir noch gehört, theilen will. Er suche nicht, mich aufzufinden – es würde verlorene Mühe sein. Ich bin todt für ihn, für meine Freunde, todt für die Welt, so wie alle die Wesen, die ich auf Erden am innigsten geliebt habe.«
Weiter enthielt das Schreiben nichts.
Der Sergeant Martial wollte indeß nicht daran glauben, daß er
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