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Der Strandlaeufer

Der Strandlaeufer

Titel: Der Strandlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Boëtius
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unabsehbaren Folgen der Seemannstod John Jakob Boysens für uns hatte. Ich für mein Teil hätte es begrüßt, wenn ich weiter zur See gefahren und nicht als Reedereiinspektor an Land gegangen wäre. Ich habe damals das Schiff mit dem Auto getauscht, den Sextanten mit der Straßenkarte. Ich habe es für euch getan, für deine Mutter und dich. Denn ihr habt beide unter meiner so häufigen langen Abwesenheit gelitten. Ich habe meinen Seemannsberuf geliebt, er hat mich ausgefüllt. Die Bürotätigkeit, die Arbeit an Land war etwas völlig anderes als das, was ich gewohnt war. Ich war nur noch eine Nummer, wenn auch keine kleine, in einem Betrieb, der patriarchalisch geführt wurde. An Bord hingegen bin ich König gewesen. Ich habe dieses Opfer für dich und deine Mutter gebracht.«
    Er hob sein Glas und sagte mit fester Stimme: »Besanschot an, auf dich, Onkel John. Was für Folgen hatte dein früher Tod!«
    Wir stießen an. Dann verließ ich meinen Vater und ging nach Hause, leicht schwankend und voller Freude darüber, dass mir nicht meine Eltern das Leben geschenkt hatten, sondern in Wahrheit Onkel John.
 

 

Kapitel 15
    U m es allein in diesem Haus auszuhalten, stöberte ich in Truhen und auf dem Dachboden nach alten Sachen. Ich fand das Seemannsbuch meines Vaters und ein kleines, ledergebundenes Notizbuch. Es war wellig, von Feuchtigkeit durchweicht, voller Stockflecken und magischer Namen der Seefahrtsgeschichte. Es gab auch hin und wieder kaum leserliche Notizen und Zahlenangaben. Ich entzifferte heilige Wörter, Ortsnamen auf einer mythischen Karte der Seefahrt: Valparaiso, Pernambuco, Tumaco, Fernando de Noronha, Tristan da Cunha. Ich roch am Papier. Es fühlte sich feucht an. Ich hielt es ans Ohr, als wollte ich das Meer rauschen hören oder den Herzschlag meines Vaters. Mystifizierte ich den Alten immer noch? Eines war mir klar: Er hätte lieber zwischen den alten Männern auf jener Bank der weißen Stadt sitzen sollen.
 
    Am nächsten Vormittag machte ich mich wieder zum Kirchgang auf den Weg. Ich hatte mir diesmal vorgenommen, nach der Walfängerzeit meines Vaters zu fragen. Es war offensichtlich, dass es ihm gut tat, vor mir sein Leben Revue passieren zu lassen.
    Er saß im Lehnstuhl und schien damit beschäftigt, die Regentropfen auf der Fensterscheibe zu zählen. Ich bereitete den Grog. »Ich habe gehört, du hast neulich hier im Haus einen Vortrag über den Walfang vor dem Zweiten Weltkrieg gehalten. Kannst du ihn für mich zusammenfassen? Ich weiß wenig über diese Zeit deines Lebens. Hier, das habe ich mitgebracht. Es scheint so etwas wie ein altes Logbuch von damals zu sein.«
    Er blickte misstrauisch auf, griff nach dem Lederbändchen und blätterte darin. Dann gab er es mir zurück. »Es sind noch viele Seiten unbeschrieben. Du kannst es als dein Notizbuch weiter nutzen.«
    Er stieß mit mir an mit dem üblichen Trinkspruch: »Besanschot an.« Er lächelte in sich hinein.
    »Die Zeit des Walfangs war nicht unbedingt interessant, aber sie hat mir vermutlich das Leben gerettet. Ohne meine Anstellung beim Walfangkontor hätte man mich zu den Fliegern gesteckt und an die Ostfront geschickt. Nenn es Zufall, nenn es Schicksal, nenn es Vorsehung. Jedenfalls, nachdem deine Mutter und ich am 5. Juli 1937 durch den Bürgermeister von Buchschlag standesamtlich getraut worden waren, traten wir nach einem solennen Frühstück im Hause der Schwiegereltern unsere Hochzeitsreise an. Der Stiefvater deiner Mutter hatte in seiner noblen Art uns nicht nur eine komplette Aussteuer geschenkt, sondern auch einen zehntägigen Aufenthalt in dem schönen und malerisch in den Hängen oberhalb von Assmannshausen gelegenen Jagdschloss Niederwald. Hier erlebten wir als frisch gebackene Eheleute eine herrliche Zeit mit einigen ܜberraschungen. Jedenfalls empfanden wir dies so, vielleicht wegen der emphatisch frohen Stimmung Jungverheirateter. Nachdem wir uns in unserem Appartement Nummer elf nach der Reise ausgeruht und erfrischt hatten, begannen wir in ausgelassener Stimmung unser Domizil und die Umgebung zu erforschen. In den frühen Abendstunden besuchten wir den verwunschenen Hotelgarten und gerieten unversehens in eine ausgelassene und fröhliche Runde von Ausflüglern der Firma Opel aus Rüsselsheim. Man lud uns ein, und am Tisch des Vorstandes wurden wir herzlich begrüßt und entsprechend ausgefragt. Unser Zustand und unsere Position konnte nicht lange verborgen bleiben, indessen blieb meine Braut in ihrer

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