Der Strandlaeufer
beieinander. Dann, Mitte Oktober, ging es los. Am 19. 10. verholten wir morgens nach Bubendayufer und nahmen 1000 Tonnen Bunkeröl an Bord. Dann ging es elbeabwärts. Wir ankerten bei Brunshaupten, um 2000 kg Pulver und Sprengstoff zu übernehmen. Endlich, am 20.10. um 03.42 Uhr in der Frühe begann die eigentliche Reise.«
Mein Vater stemmte sich aus dem Sessel hoch und blickte hinaus auf die gegenüberliegende Häuserwand. »Die Sicht war nicht gut, die Nordsee sehr neblig. Um Mitternacht passierten wir Nordhinder Feuerschiff. Am 22. 10. sahen wir querab an Backbord im Morgengrauen Ouessant. Wir änderten den Kurs Richtung Azoren. Doch zwei Tage kamen wir nicht recht voran, denn wir hatten in der Biskaya und im Nordatlantik einen schweren Sturm abzureiten. Dabei erwies sich ›Südmeer‹ als gutes Seeschiff. Schwere Böenfronten fielen über uns her. Wir nahmen gewaltige Mengen Wasser über.«
Ich schenkte nach. Es war deutlich, dass mein Alter in seinem Ohrenstuhl auf hoher See war. Er schaukelte mit seinem Glas in der Hand hin und her, und seine Stimme war lauter geworden, als müsse sie die Geräusche des Wetters übertönen. »Du hast die ›Südmeer‹ geliebt«, sagte ich. »Weil sie später dein erstes Schiff als Kapitän war? Oder weil sie ein gutes Seeschiff war?«
»Deine Frage zeigt mir, dass du nichts von der Liebe von Seeleuten zu Schiffen verstehst. Es ist eine Liebe ohne Gründe. Allenfalls spielt das Verhalten bei schwierigem Wetter eine Rolle.«
»Woher weißt du die Daten und Zeiten so genau?«
Er grinste wie ein Lausejunge. »Ich habe meine Chronik noch mal durchgelesen, ehe du kamst, und mir ein paar Stichworte gemacht. Hier.« Er hielt mir einen kleinen Zettel hin. Er war bedeckt mit Zahlen und Namen. »Mein Spickzettel. Schenk bitte nach.«
Ich hatte in der Tat vergessen, unsere schon wieder leeren Gläser erneut zu füllen. Er redete jetzt immer schneller, und zwar in der Gegenwartsform. Es war deutlich, wie sehr er das nacherlebte, was er sagte. Er ließ sogar seinen Grog kalt werden.
»Hinter den Azoren nehmen wir Kurs auf Curaso und dann den St.Vincent Kanal. Am 8. November passieren wir mittags St. Vincent und St. Lucia. Kurs Barbados und Fernando de Noronha. Abends bei Barbados heftiges Gewitter. Sankt Elmsfeuer. Wir erhalten die Meldung, dass die Fangboote am 15. 11. von den Kap Verden abgefahren sind. Da sie etwa am 21. in Fernando sein werden, gehen wir mit der Fahrt erheblich herunter, um Öl zu sparen und Wartezeit in Fernando abzukürzen. Am 18.11. morgens Ankunft in Fernando. Der Aufenthalt ist kurz, so dass ein Landgang nicht möglich ist. Am Morgen des 6. November legen wir ab und nehmen Kurs auf Trinidad. Durch die Passage von Trinidad verlassen wir nachts bei sehr heftigem Gewitter mit St. Elmsfeuer die Westindies und steuern in den Atlantik hinein. Fernando de Noronha ist unser Ziel, die Sträflingsinsel der Brasilianer, die weit vor der Küste liegt und deren Betreten streng verboten ist. Wir benutzten sie auf unseren Südamerikareisen mit dem Luftschiff als Ansteuerungspunkt. Ich kannte sie mit ihren bizarren Felsformationen also bereits aus der Luft. Jetzt wollen wir dort auf Reede ankern und auf unsere Fangboote warten, auf Süd 1 bis Süd 6, die durch schlechtes Wetter etwas verspätet sind. Am 19. November erreichen wir die Insel. Unsere Fangboote haben sich verspätet, und so bleibt uns noch eine Weile Zeit, die Tropen zu genießen. Mit den norwegischen Schützen gehen wir auf Fischfang. Vom Motorboot aus versuchen wir Schweinsfische zu harpunieren. Das Betreten der Insel ist zwar strengstens untersagt, wir können aber doch nicht widerstehen, in einer geschützten Bucht an Land zu gehen, um Kokosnüsse zu ernten. Nahe am Strand sehen wir einige einsame Kokospalmen. Die haben wir uns ausgesucht, da sie uns nicht sehr hoch vorkommen. Als wir unter ihnen stehen, merken wir aber, dass sie doch nicht zu den kleinsten gehören und außerdem unten völlig kahl sind. Meine Kameraden halten mich wohl einem Affen am ähnlichsten und sehen mich auffordernd an. Mit meinen 27 Jahren bin ich tatsächlich flink genug, den Stamm zu erklettern und aus der Krone 20 oder 25 Nüsse abzuschlagen und hinunterzuwerfen. Die Kameraden nehmen sie unten wahr. Ich sause hinterher und dann nichts wie ins Boot und hinaus in die Bucht. Den Bauch habe ich mir zwar böse aufgescheuert, aber die Nüsse schmecken prächtig. Am 21. sind die Fangboote bei uns. Nun kann es endlich weiter
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