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Der Strandlaeufer

Der Strandlaeufer

Titel: Der Strandlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Boëtius
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nach Süden gehen. Auf dem Weg zur Eisgrenze werden die letzten Vorbereitungen getroffen, die notwendig sind, um den Walfang gerüstet anzutreten. Auf dem Mutterschiff wird jetzt das ganze Arbeitsdeck zur Schonung mit Holzplanken übernagelt. Die Rettungsboote werden in ihren Davits ausgeschwungen, weil wir für die Verarbeitung der Tiere ein klares Deck benötigen. Die ֖lkocherei wird probeweise in Betrieb genommen, die Winden ebenso wie die Walklaue nachgesehen. Das Fanggerät für die Boote, das wir an Bord haben, wird sorgsam überholt. Die großen Dampfsägen werden an Deck montiert. Ihre Aufgabe ist es, die Knochen auf dem Lemmerdeck zu zerkleinern, so dass sie in die Einfüllstutzen passen, die in die unter Deck befindlichen Kochgeräte, in die Fabrik also, hinunterführen. Am 6. Dezember erreichen wir etwa auf 54 Grad Süd und 25 Grad West das Fangfeld. Ab jetzt wird eifrig Ausschau gehalten nach dem bekannten Walblaas. Unser Kurs geht zunächst noch weiter südwärts. Wir wollen die Inselgruppe der Süd-Sandwich ansteuern. Am 8. Dezember kommen wir in dieses Gebiet und haben dann auch bald die ersten Blau- und Finnwale an Deck. Am 10. Dezember sichten wir den ersten Eisberg, und dann sind wir mittendrin in ihrem glitzernden Reich. Man kann sich keine Vorstellung machen von den gewaltigen und bizarren Formen dieser treibenden Eisinseln! Und wir mit unseren winzigen Schiffchen dazwischen. Jeder Berg bedeutet für uns Schiffbruch, wenn wir mit ihm in Berührung kommen würden. Ich lasse mir einen mächtigen Bart stehen, wie die meisten anderen, weil es so furchtbar kalt ist, und ich muss an Shackleton denken, wie er hier jahrelang mit seinem Schiff und seiner Mannschaft im Eis eingeschlossen war. Am 11. Dezember zwei Uhr nachts wird wieder ein Blauwal an Deck gehievt. Wir sind jetzt mitten im Geschäft. Es ist doch eine grausame, blutige Angelegenheit. An Weihnachten haben wir den 100. Wal gefangen, das heißt ungefähr 10 000 Fass ֖l produziert. Das ist nicht sehr viel, aber auch nicht gerade schlecht. Wir haben bisher oft ungünstiges Wetter. Viel Nebel. Am Tag vor dem Fest verunglückt einer unserer Leichtmatrosen so schwer, dass er in der darauffolgenden Nacht stirbt. Das hat natürlich auf die Weihnachtsstimmung einen starken Einfluss. Das Fest selbst ist wie jedes andere auf See wenig feierlich. Ich habe es noch nie anders gefunden und auch diesmal nicht anders erwartet. Vom anschließenden Jahreswechsel merke ich überhaupt nichts. Ich fotografiere viel, aber ich traue mich nicht, die Filme mit dem Tankdampfer nach Hause zu schicken. Sie würden auf feindliches Propagandamaterial hin untersucht. Ich fürchte eine Beschädigung und unsachgemäße Belichtung.«
    Mein Vater schwieg und holte seine silberne Taschenuhr hervor. Es war deutlich, dass er in diesem Moment aus der Gegenwart seiner Vergangenheit in die Vergangenheit seiner Gegenwart wechselte. Man merkte ihm die Anstrengung dieser Zeitreise an. Er würde nun gleich nach unten gehen in dieses Schwimmdock des Sterbens, um dort eine seiner vielen Henkersmahlzeiten einzunehmen. »Bring morgen die Rolle mit den Seekarten aus der alten Truhe mit«, rief er mir nach, als ich die Tür mit der Nummer elf hinter mir schloss.
 

 

Kapitel 16
    D en Nachmittag über versuchte ich, die Standuhr wieder zum Laufen zu bringen. Ich hängte die Gewichte ab, wie immer überrascht von der Kraft, mit der sich die Erdanziehung über sie hermachte. Dann hängte ich das Pendel aus, wobei ich bemerkte, dass die Pendelfeder angebrochen war. Ich zog vorsichtig den lädierten oberen Teil des Uhrgehäuses heraus und konnte nun das Werk herunternehmen. Behutsam, wie man ein krankes Kind trägt, schaffte ich es in die Küche und stellte es auf den Resopaltisch. Das komplexe System aus Messingrädern, Walzen und Achsen kam mir wie ein Lebewesen vor, das im Wachkoma lag. Ich sah, dass dem Steigrad ein Zahn fehlte, aber das war schon lange so gewesen und hatte dazu geführt, dass das Ticken dieser Uhr ein kleines, regelmäßiges Stolpern aufwies. Ich stellte fest, dass sämtliche Lager verharzt waren. Mein Vater hatte den Fehler gemacht, das Werk zu oft zu ölen.
    Im Keller fand ich eine Dose mit Verdünner. Mit Hilfe dieser Flüssigkeit und einem Pinsel säuberte ich die Lager. Die angebrochene Pendelfeder reparierte ich notdürftig mit einer dünnen Lasche Blech von einer alten Flachbatterie. Dann baute ich alles zusammen und justierte die Uhr, indem ich Pappestückchen

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