Der Streik
unzertrennliche Freunde. Sie alle trafen eine seltsame Studienwahl. Sie belegten zwei Hauptfächer: bei mir und bei Hugh Akston. Physik und Philosophie. Keine Interessenkombination, der man heute noch begegnet. Hugh Akston war ein herausragender Mann mit einem großen Verstand … ganz im Gegensatz zu der unsäglichen Kreatur, die die Universität jetzt an seine Stelle gesetzt hat. … Akston und ich waren wegen dieser drei Studenten ein wenig neidisch aufeinander. Es war eine Art Wettbewerb zwischen uns, ein freundschaftlicher Wettbewerb, weil wir einander gut verstanden. Eines Tages hörte ich Akston sagen, dass er sie als seine Söhne betrachtete. Ich habe ihm das etwas verübelt … weil ich sie als die meinen sah. …“
Er wandte sich um und sah sie an. Die bitteren Züge des Alters waren nun sichtbar geworden und zogen sich quer über seine Wangen. Er sagte: „Als ich die Schaffung dieses Instituts vorantrieb, verfluchte mich einer der drei. Ich habe ihn seither nicht gesehen. Es hat mich in den ersten paar Jahren beschäftigt. Ich habe mich von Zeit zu Zeit gefragt, ob er nicht Recht hatte. … Es hat vor langer Zeit aufgehört, mich zu beschäftigen.“
Er lächelte. In seinem Lächeln und in seinem Gesicht lag nun nichts mehr als Bitterkeit.
„Diese drei Männer, die alle Hoffnung in sich vereinten, die das Geschenk der Intelligenz je zu bieten hatte, diese drei, von denen wir solch eine hervorragende Zukunft erwarteten – einer von ihnen war Francisco d’Anconia, aus dem ein verdorbener Playboy wurde. Der zweite war Ragnar Danneskjöld, der ein gemeiner Bandit wurde. So viel zu dem Potenzial des menschlichen Verstandes.“
„Wer war der dritte?“, fragte sie.
Er zuckte mit den Schultern. „Der dritte hat es noch nicht einmal geschafft, auf diese Art berühmt-berüchtigt zu werden. Er verschwand spurlos – in die große unbekannte Masse der Mittelmäßigkeit. Vermutlich arbeitet er irgendwo als zweiter Hilfsbuchhalter.“
*
„Das ist eine Lüge! Ich habe mich nicht aus dem Staub gemacht!“, schrie James Taggart. „Ich bin hierhergekommen, weil ich zufällig krank war. Frag doch Dr. Wilson. Es ist eine Art Grippe. Er wird es dir bestätigen. Wie hast du überhaupt gewusst, dass ich hier bin?“
Dagny stand in der Mitte des Raumes; Schneeflocken schmolzen auf ihrem Kragen und ihrer Hutkrempe. Sie sah sich um und empfand ein Gefühl, das Traurigkeit gewesen wäre, hätte sie Zeit gehabt, es zu bestimmen.
Sie befanden sich in einem Zimmer des alten Taggart-Anwesens am Hudson. Jim hatte es geerbt, aber er kam nur selten hierher. In ihrer Kindheit war dies das Arbeitszimmer ihres Vaters gewesen; jetzt machte es den verlassenen Eindruck eines Raumes, der zwar benutzt, aber trotzdem unbewohnt war. Alle Stühle bis auf zwei waren mit Schonbezügen versehen; in dem offenen Kamin brannte kein Feuer, und ein Elektroheizgerät, dessen Kabel sich am Boden dahinschlängelte, gab nur spärlich Wärme ab; die Glasplatte des Schreibtischs war leer.
Jim lag auf der Couch und hatte ein Handtuch wie einen Schal um seinen Hals gewickelt. Auf einem Stuhl neben ihm sah sie einen überquellenden Aschenbecher, eine Flasche Whisky und einen zerbeulten Pappbecher; die Zeitungen von vor zwei Tagen lagen verstreut auf dem Boden. Ein Porträt ihres Großvaters in Lebensgröße mit einer Eisenbahnbrücke im verschwommenen Hintergrund hing über dem Kamin.
„Ich habe keine Zeit für Diskussionen, Jim.“
„Es war deine Idee. Ich hoffe, du wirst vor dem Verwaltungsrat zugeben, dass es deine Idee war. Da siehst du, was dein gottverdammtes Rearden-Metall angerichtet hat! Wenn ich auf Orren Boyle gewartet hätte …“ Sein unrasiertes Gesicht verzerrte sich in einem Gemisch aus den verschiedensten Gefühlen: Panik, Hass, einer Spur von Triumph, Erleichterung darüber, ein Opfer anbrüllen zu können – und Hoffnung auf Hilfe, die aus seinem zaghaften, vorsichtig bittenden Blick sprach.
Er hatte versuchsweise innegehalten, aber sie antwortete ihm nicht. Sie beobachtete ihn mit den Händen in den Manteltaschen.
„Es gibt nichts, was wir jetzt tun könnten“, jammerte er. „Ich habe versucht, Washington anzurufen, um sie zu überzeugen, als Notfallmaßnahme die Phoenix-Durango zu beschlagnahmen und uns zu übergeben. Aber sie wollen nicht einmal darüber reden! Zu viele Leute sind dagegen, sagen sie, haben Angst vor einem blöden Präzedenzfall oder so ähnlich! Ich habe die Nationale Eisenbahnvereinigung
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