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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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denken … es hat keinen Zweck … wozu? … lass es bleiben!
    Er konnte es nicht abschütteln. Er saß regungslos über den Entwürfen der Brücke für die John-Galt-Linie und hörte eine Stimme, deren Klang Bilder in ihm aufsteigen ließ: Sie hatten es ohne ihn entschieden. … Sie hatten ihn nicht gerufen, sie hatten nicht gefragt, sie hatten ihn nicht sprechen lassen. … Sie hatten nicht einmal die Pflicht, es ihn wissen zu lassen – ihn wissen zu lassen, dass sie einen Teil seines Lebens abgehackt hatten und er sich damit abfinden musste, als Krüppel weiterzugehen. … Unter allen, die davon betroffen waren, wer auch immer sie waren, aus welchem Grund, aufgrund welchen Bedürfnisses auch immer, war er der Einzige, den sie nicht berücksichtigen mussten.
    Auf dem Schild am Ende einer langen Straße stand: Rearden Ore. Es hing über schwarzen Stapeln von Metall … und über Jahren und Nächten … über einer Uhr, mit deren Ticken Tropfen seines Blutes vergossen wurden … des Blutes, das er freudig, jubelnd für einen fernen Tag und ein Schild über einer Straße bezahlt hatte … bezahlt mit seiner Mühe, seiner Kraft, seinem Verstand und seiner Hoffnung. Zerstört durch eine Laune irgendwelcher Menschen, die nur dort saßen und abstimmten … Wer weiß, mit welchen Absichten? … Wer weiß, wessen Wille es war, der sie an die Macht gebracht hatte? – Was trieb sie an? – Was wussten sie schon? – Wer von ihnen war in der Lage, ohne Hilfe einen Brocken Erz aus der Erde zu fördern? … Zerstört durch eine Laune von Menschen, die er nie gesehen hatte und die niemals diese Metallstapel gesehen hatten. Zerstört, weil sie es so entschieden hatten. Mit welchem Recht?
    Er schüttelte den Kopf. Es gibt Dinge, über die man nicht nachdenken darf, dachte er. Es gibt ein abscheuliches Böses, das den Betrachter ansteckt. Es gibt eine Grenze dessen, was ein Mensch sehen sollte. Er durfte nicht daran denken oder hineinblicken oder versuchen, seinen Ursprung zu ergründen.
    Mit einem Gefühl der Ruhe und Leere sagte er sich, dass er morgen wieder in Ordnung sein würde. Er würde sich die Schwäche dieser Nacht vergeben, es war wie mit den Tränen, die man bei einem Begräbnis vergießen darf, man lernt danach, mit einer offenen Wunde zu leben – oder mit einer verkrüppelten Fabrik.
    Er stand auf und ging zum Fenster. Das Stahlwerk lag verlassen und still da; er sah ein schwaches rotes Glühen über den schwarzen Schornsteinen, lange Rauchschwaden und die Netze der Verstrebungen von Kränen und Brücken.
    Er fühlte eine trostlose Einsamkeit, wie er sie noch nie zuvor erfahren hatte. Gwen Ives und Mr. Ward konnten zu ihm blicken, wenn sie Hoffnung, Trost oder neuen Mut brauchten, dachte er. Zu wem konnte er blicken? Auch er brauchte es, nur dieses eine Mal. Er wünschte, er hätte einen Freund, dem er erlauben konnte, ihn leiden zu sehen, ohne sich zu verstellen und ohne Deckung, jemanden, an den er sich einen Augenblick lang anlehnen konnte, nur um zu sagen: „Ich bin sehr müde“, und sich einen Augenblick lang auszuruhen. Gab es unter allen Menschen, die er kannte, einen, den er jetzt an seiner Seite haben wollte? Unmittelbar und erschreckend hörte er die Antwort in seinem Geiste: Francisco d’Anconia.
    Sein ärgerliches Auflachen brachte ihn zurück. Die Absurdität dieser Sehnsucht gab ihm mit einem Schlag seine Ruhe wieder. Das kommt heraus, dachte er, wenn du einer Schwäche nachgibst.
    Er stand am Fenster und versuchte, nicht zu denken. Doch er hörte fortwährend Worte in seinem Kopf: Rearden Ore … Rearden Coal … Rearden Steel … Rearden Metal … Was war der Zweck all dessen? Warum hatte er all das geschaffen? Warum sollte er jemals wieder etwas tun wollen?
    Sein erster Tag auf den Gesimsen des Erzbergwerkes … Der Tag, an dem er im Wind stand und auf die Ruine eines Stahlwerkes hinabsah … Der Tag, an dem er hier stand, in seinem Büro, an diesem Fenster und dachte, dass man eine Brücke bauen konnte, die auf einigen wenigen Metallträgern unglaubliche Lasten trug, wenn man Fachwerk mit einem Bogen kombinierte, wenn man diagonale Verstrebungen mit den oberen Elementen verband, die bogenförmig …
    Er hielt inne und stand regungslos. Er hatte an diesem Tag damals nicht daran gedacht, Fachwerk mit einem Bogen zu kombinieren.
    Sekunden später war er an seinem Schreibtisch, beugte sich darüber, mit einem Knie auf der Sitzfläche seines Sessels. Er hatte keine Zeit, daran zu denken, sich

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