Der Streik
denn nicht, wie grauenvoll das ist? … Welche Ehre? Ich bin nicht sicher, was ich wirklich bin: ein Clown, ein Gespenst, eine Zweitbesetzung oder einfach ein gemeiner Strohmann. Wenn ich in ihrem Büro sitze, in ihrem Sessel, an ihrem Schreibtisch, dann fühlt es sich noch schlimmer an: Dann fühle ich mich wie ein Mörder. … Natürlich weiß ich, dass ich für sie einspringen soll, und das wäre auch eine Ehre, aber … aber ich fühle mich, als wäre ich auf eine fürchterliche Weise, die ich nicht fassen kann, ein Strohmann für Jim Taggart. Warum sollte sie einen Strohmann benötigen? Warum muss sie sich verstecken? Warum wurde sie aus dem Gebäude geworfen? Wissen Sie, dass sie in ein stinkiges Loch in einer finsteren Seitengasse ziehen musste, gegenüber unserem Express- und Gepäckeingang? Sie sollten sich das einmal ansehen, das ist das Büro der John Galt Inc. Und doch weiß jeder, dass sie es ist, die Taggart Transcontinental immer noch leitet. Warum muss sie die großartige Arbeit, die sie leistet, verbergen? Warum schenken sie ihr keine Anerkennung? Warum berauben sie sie ihrer Leistung – und geben mir die Diebesbeute? Warum tun sie alles in ihrer Macht Stehende, um ihren Erfolg zu verhindern, wo sie doch das Einzige ist, was zwischen ihnen und der Zerstörung steht? Warum foltern sie sie als Gegenleistung dafür, dass sie ihre Leben rettet? … Was haben Sie? Warum sehen Sie mich so an? … Ja, ich denke, Sie verstehen. … Die ganze Sache hat etwas, das ich nicht einordnen kann, aber es ist etwas Böses. Das ist der Grund, warum ich Angst habe. … Ich glaube nicht, dass man damit durchkommen kann. … Wissen Sie, es ist seltsam, aber ich glaube, Jim und seine Gefolgsleute wissen das auch, sie und alle hier im Gebäude. Dieser ganze Ort hat etwas Schuldbeladenes, Gemeines. Etwas Schuldbeladenes, Gemeines und Totes. Taggart Transcontinental kommt mir heute vor wie ein Mensch, der seine Seele verloren hat … der seine Seele verkauft hat. … Nein, sie kümmert das nicht. Als sie das letzte Mal in New York war, kam sie unangekündigt vorbei – ich war in meinem Büro, in ihrem Büro, und plötzlich flog die Tür auf, und da stand sie. Sie kam herein und sagte: ‚Mr. Willers, ich suche eine Stelle als Betriebsbeamter, würden Sie mir eine Chance geben?‘ Ich hätte sie am liebsten alle verflucht, aber ich musste lachen, weil ich so froh war, sie zu sehen, und weil ihr Lachen so glücklich war. Sie war direkt vom Flughafen gekommen. Sie trug Hosen und eine Fliegerjacke, sie sah großartig aus, ihre Haut war vom Wind gegerbt, sodass es aussah wie Sonnenbräune, als wäre sie eben aus dem Urlaub gekommen. Sie bat mich zu bleiben, wo ich war, in ihrem Sessel, und sie setzte sich auf den Schreibtisch und sprach über die neue Brücke der John-Galt-Linie. … Nein. Ich habe sie nie gefragt, warum sie diesen Namen ausgesucht hat … Ich verstehe nicht, was er für sie bedeutet. Eine Art Herausforderung, nehme ich an … ich weiß nicht, für wen … Ach, es ist ja egal, es bedeutet gar nichts, es gibt keinen John Galt, aber ich wünschte, sie hätte den Namen nicht benutzt. Ich mag ihn nicht, und Sie? … Sie mögen ihn? Sie klingen nicht sehr glücklich, wenn Sie das sagen.“
*
Die Fenster in den Büros der John-Galt-Linie gingen auf eine dunkle Seitengasse. Wenn Dagny von ihrem Schreibtisch aufsah, konnte sie den Himmel nicht sehen, nur die Fassade eines Gebäudes, das über ihr Blickfeld hinaus nach oben ragte. Es war die Seitenwand des mächtigen Wolkenkratzers von Taggart Transcontinental.
Ihr neuer Geschäftssitz bestand aus zwei Zimmern im Erdgeschoss eines halb eingestürzten Gebäudes. Das Gebäude stand noch, doch seine oberen Stockwerke waren verbarrikadiert, weil sie nicht mehr sicher genug waren, um genutzt zu werden. Die Mieter, die es beherbergte, waren beinahe bankrott und existierten wie das Gebäude selbst nur dank der Beharrlichkeit der Schwungkraft der Vergangenheit.
Sie mochte ihr neues Büro: Es sparte Geld. Es gab keine überflüssigen Möbel oder Mitarbeiter. Die Einrichtung stammte aus Trödelläden. Die Mitarbeiter waren die besten, die sie finden konnte. Während ihrer seltenen Besuche in New York hatte sie keine Zeit, den Raum wahrzunehmen, in dem sie arbeitete; sie sah nur, dass er seinem Zweck diente.
Sie wusste nicht, was es war, das sie heute innehalten ließ, um die dünnen Spuren der Regentropfen auf der Fensterscheibe und an der Fassade des Gebäudes auf der
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