Der Streik
hinzusetzen, er zeichnete Geraden, Bögen, Dreiecke, schrieb Berechnungen, irgendwo auf die Blaupausen, auf die Schreibunterlage, auf irgendwelche Briefe.
Und eine Stunde später meldete er ein Ferngespräch an, wartete darauf, dass ein Telefon neben dem Bett in einem Waggon auf einem Abstellgleis zu läuten begann. Er sagte: „Dagny! Unsere Brücke – verbrennen Sie alle Entwürfe, die ich Ihnen geschickt habe, weil … Wie bitte? … Ach das? Zum Teufel damit! Kümmern Sie sich nicht um die Plünderer und ihre Gesetze. Vergessen Sie’s! Was schert uns das, Dagny? Hören Sie zu, erinnern Sie sich an diese Neuerung, die Sie das Rearden-Fachwerk genannt haben, das Sie so bewundert haben? Es ist einen Dreck wert. Ich habe mir ein Fachwerk überlegt, das alles jemals Dagewesene übertrifft. Ihre Brücke wird vier Züge auf einmal tragen können, dreihundert Jahre halten und Sie weniger kosten als Ihr billigster Abwasserkanal! In zwei Tagen schicke ich Ihnen die Entwürfe, aber ich wollte es Ihnen sofort erzählen. Sehen Sie, es geht darum, Fachwerk mit einem Bogen zu kombinieren. Wenn wir diagonale Verstrebungen nehmen und … Wie bitte? … Ich kann Sie nicht hören. Haben Sie sich eine Erkältung eingefangen? … Wofür danken Sie mir jetzt schon? Warten Sie ab, bis ich es Ihnen erklärt habe.“
VIII. Die John-Galt-Linie
L ächelnd sah der Arbeiter Eddie Willers über den Tisch hinweg an.
„Ich fühle mich wie ein Flüchtling“, sagte Eddie Willers. „Ich nehme an, Sie wissen, warum ich monatelang nicht hier war.“ Er deutete auf die Kantine im Keller. „Angeblich bin ich jetzt Vizepräsident. Der Betriebsleitende Vizepräsident. Um Himmels Willen, nehmen Sie das nicht ernst. Ich habe so lange wie möglich durchgehalten, doch dann musste ich flüchten, wenn auch nur für einen Abend. … Als ich nach meiner vermeintlichen Beförderung das erste Mal zum Abendessen hierherkam, starrten mich alle so an, dass ich nicht wagte, wieder herzukommen. Aber was soll’s, sollen sie doch starren. Sie starren nicht. Ich bin froh, dass es für Sie keinen Unterschied macht. … Nein, ich habe sie seit Wochen nicht mehr gesehen. Aber ich telefoniere täglich mit ihr, manchmal zweimal am Tag. … Ja, ich weiß, wie es ihr geht: Sie findet es großartig. Was war es noch, was wir über das Telefon hören – Schallwellen, nicht wahr? Ja, und ihre Stimme klingt, als würden sie sich in Lichtwellen verwandeln – falls Sie verstehen, was ich meine. Sie genießt es, diesen fürchterlichen Kampf allein zu führen und ihn zu gewinnen. … Oh ja, sie gewinnt ihn! Wissen Sie, warum Sie eine Zeit lang nichts über die John-Galt-Linie in den Zeitungen gelesen haben? Weil es so gut läuft … Obwohl … Die Strecke mit Schienen aus Rearden-Metall wird zwar die beste sein, die jemals gebaut wurde, aber was nützt das, wenn wir keine Lokomotiven haben, die stark genug sind, ihre Vorteile zu nutzen? Sehen Sie sich doch nur die geflickten Kohlebrenner an, die uns noch geblieben sind – sie sind kaum noch schneller als alte Straßenbahnen. … Trotzdem, es besteht Hoffnung. United Locomotive Works ist pleitegegangen. Das ist die beste Neuigkeit, die wir in den letzten Wochen bekommen haben, weil Dwight Sanders das Werk aufgekauft hat. Er ist ein talentierter junger Ingenieur, der das einzige gutgehende Flugzeugwerk im ganzen Land besitzt. Er musste das Flugzeugwerk an seinen Bruder verkaufen, damit er United Locomotive übernehmen konnte. Das hat mit dem Chancengleichheitsgesetz zu tun. Klar ist das nur ein Deal zwischen den beiden, aber kann man es ihm verübeln? Wie dem auch sei, jetzt werden endlich Dieselloks aus dem Werk kommen. Dwight Sanders wird die Dinge ins Rollen bringen. … Ja, sie zählt auf ihn. Warum wollen Sie das wissen? … Ja, er ist zurzeit von allergrößter Wichtigkeit für uns. Wir haben eben einen Vertrag mit ihm über die ersten zehn Dieselloks, die er produziert, unterzeichnet. Als ich sie anrief und ihr sagte, dass der Vertrag unterzeichnet sei, lachte sie und sagte: ‚Siehst du? Es gibt keinen Grund, Angst zu haben.‘ … Sie sagte das, weil sie weiß – obwohl ich es ihr nie gesagt habe, aber sie weiß es trotzdem –, dass ich Angst habe. … Ja, habe ich wirklich. … Ich weiß nicht … Ich hätte keine Angst, wenn ich wüsste, wovor, denn dann könnte ich etwas dagegen tun. Aber so … Sagen Sie, hassen Sie mich wirklich nicht dafür, dass ich Betriebsleitender Vizepräsident bin? … Aber sehen Sie
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