Der Streik
Dieser Satz stand ganz allein da, ohne Vergangenheit und ohne Zukunft. Er dachte nicht darüber nach, was es war, das ihn nicht aufhalten durfte, oder warum dieser Satz so unumstößlich war. Er hielt ihn fest, und er gehorchte. Er ging Schritt für Schritt vor. Er absolvierte planmäßig seine Termine.
Es war schon spät, als sein letzter Besucher gegangen war und er aus seinem Büro kam. Der Rest seiner Belegschaft war schon nach Hause gegangen. Miss Ives saß in dem leeren Raum allein an ihrem Schreibtisch. Sie saß gerade und angespannt da und hielt die Hände in ihrem Schoß fest aneinandergeklammert. Sie hatte den Kopf nicht gesenkt, sondern sah streng geradeaus, und ihr Gesicht schien zu Eis erstarrt. Tränen liefen ihre Wangen hinunter, lautlos und ohne eine Regung des Gesichts, gegen ihren Willen und ohne dass sie etwas dagegen tun konnte.
Sie erblickte ihn und sagte zu ihrer Entschuldigung mit trockener Stimme: „Es tut mir leid, Mr. Rearden.“ Sie versuchte nicht einmal ihr Gesicht zu verbergen, weil es zwecklos war.
Er näherte sich ihr. „Danke“, sagte er sanft.
Sie sah ihn erstaunt an.
Er lächelte. „Denken Sie nicht, dass Sie mich unterschätzen, Gwen? Ist es nicht ein wenig früh, meinetwegen zu weinen?“
„Ich wäre mit allem fertig geworden“, flüsterte sie, „aber sie …“, sie zeigte auf die Zeitungen auf ihrem Schreibtisch, „sie nennen es einen Sieg für die Anti-Gier.“
Er lachte laut auf. „Ich kann mir vorstellen, dass eine solche Entstellung der Sprache Sie wütend macht“, sagte er. „Aber was noch?“
Als sie ihn ansah, entspannte sich ihr Mund ein wenig. Das Opfer, das sie nicht schützen konnte, war ihr einziger Halt in einer Welt, die sich rund um sie herum auflöste.
Sachte streifte er mit seiner Hand über ihre Stirn; es war ein für ihn ungewöhnlicher Formverstoß und eine stumme Kenntnisnahme der Dinge, über die er nicht gelacht hatte. „Gehen Sie nach Hause, Gwen. Ich brauche Sie heute Abend nicht mehr. Ich werde auch bald gehen. Nein, ich möchte nicht, dass Sie warten.“
Es war bereits nach Mitternacht, als er, immer noch an seinem Schreibtisch über die Blaupausen der Brücke für die John-Galt-Linie gebeugt, plötzlich in seiner Arbeit innehielt, weil ihn mit einem Mal die Gefühle überwältigten und er nicht mehr davor flüchten konnte, als wäre ein Schleier der Betäubung von ihm genommen worden.
Er sank halb in sich zusammen, immer noch mit einem Funken Widerstand. Er hielt seine Brust gegen die Kante des Tisches gepresst, um sich mit hängendem Kopf aufrecht zu halten, als wäre den Kopf nicht auf die Tischplatte fallen zu lassen das Einzige, was er noch zustande brachte. So saß er einige Augenblicke lang da und fühlte nichts als Schmerz, einen brüllenden Schmerz ohne Inhalt und ohne Grenze – er wusste nicht, ob dieser furchtbare Schmerz, der jeden Gedanken unmöglich machte, in seinem Geist oder in seinem Körper war.
Eine Weile später war es vorüber. Er hob seinen Kopf, setzte sich aufrecht hin und lehnte sich ruhig in seinem Sessel zurück. Nun erkannte er, dass er sich durch das Hinauszögern dieses Augenblicks um mehrere Stunden nicht des Ausweichens schuldig gemacht hatte: Er hatte nicht daran gedacht, weil es nichts zu denken gab.
Denken, sagte er ruhig zu sich selbst, ist eine Waffe, die man benutzt, um zu handeln. Hier war kein Handeln möglich. Denken ist das Werkzeug, mit dem man eine Wahl trifft. Ihm wurde keine Wahl gelassen. Denken bestimmt das Ziel und den Weg, wie man dorthin kommt. In dieser Angelegenheit, die sein Leben Stück für Stück aus ihm herausriss, hatte er keine Stimme, kein Ziel, keinen Weg, keine Verteidigung.
Erstaunt dachte er darüber nach. Zum ersten Mal erkannte er, dass er niemals Furcht empfunden hatte, weil er gegen jede Katastrophe das Allheilmittel der Handlungsfähigkeit einsetzen konnte. Nein, dachte er, nicht die Sicherheit zu gewinnen – wer konnte sie jemals haben? – nur die Möglichkeit zu handeln, das war alles, was man brauchte. Nun befasste er sich unvoreingenommen und zum ersten Mal mit tatsächlichem Schrecken: mit auf dem Rücken gefesselten Händen der Zerstörung ausgeliefert zu sein.
Na gut, dann musst du eben mit gefesselten Händen weitergehen, dachte er. Geh in Ketten weiter. Geh weiter. Es darf dich nicht aufhalten. … Aber eine andere Stimme sagte ihm Dinge, die er nicht hören wollte, gegen die er sich wehrte, gegen die er anbrüllte: Es hat keinen Sinn, daran zu
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