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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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Welt Bedeutung geben würde, so wie sie der seinen … Nein, nicht Francisco d’Anconia, nicht Hank Rearden, nicht irgendeinen Mann, den sie jemals getroffen oder bewundert hatte … Einen Mann, der nur existierte, weil sie wusste, dass sie zu diesem Gefühl fähig war, zu einem Gefühl, das sie noch nie empfunden hatte, das zu erfahren sie aber ihr Leben gegeben hätte … Sie hatte ihre Brust auf die Tischplatte gepresst und wand sich in langsamen und sachten Bewegungen; sie fühlte die Sehnsucht in ihren Muskeln bis in die Nervenenden ihres Körpers.
    Ist es das, was du willst? Ist es denn so einfach?, dachte sie, aber sie wusste, dass es nicht einfach war. Es gab eine untrennbare Verbindung zwischen ihrer Liebe zur Arbeit und dem Verlangen ihres Körpers, als gäbe das eine ihr das Recht auf das andere, das Recht und die Bedeutung; als wäre das eine die Vervollständigung des anderen – und das Verlangen würde niemals gestillt werden außer durch einen ihr ebenbürtigen Menschen.
    Sie bewegte den Kopf, der auf ihrem Arm lag, in einer bedächtigen, verneinenden Geste. Sie würde ihn niemals finden. Ihre eigene Vorstellung davon, wie das Leben sein könnte, war alles, was sie von der Welt, die sie gewollt hatte, jemals erhalten würde. Nur diese Vorstellung davon – und einige seltene Augenblicke, in denen etwas davon auf ihrem Weg aufleuchtete – würde sie kennen, festhalten und verfolgen bis zum Ende …
    Sie hob den Kopf. Auf dem Pflaster der Seitengasse vor ihrem Fenster sah sie den Schatten eines Mannes, der am Eingang ihres Büros stand.
    Die Tür befand sich einige Schritte von ihr entfernt; sie konnte weder ihn noch die Straßenlaterne hinter ihm sehen, nur seinen Schatten auf den Pflastersteinen. Er bewegte sich nicht.
    Er war so nah an die Tür gekommen, als wollte er jeden Moment eintreten, und sie wartete darauf, ihn klopfen zu hören. Stattdessen sah sie, wie der Schatten plötzlich zusammenzuckte, als würde er zurückgerissen, sich umdrehte und davonging. Als er stehen blieb, waren nur noch seine Hutkrempe und seine Schultern auf dem Boden zu sehen. Der Schatten bewegte sich einen Augenblick lang nicht, schwankte unschlüssig und wurde wieder länger, als er sich erneut näherte.
    Sie fürchtete sich nicht. Sie saß regungslos an ihrem Schreibtisch und sah verwundert zu. Er machte an der Tür halt und entfernte sich wieder; er stand irgendwo in der Mitte der Gasse, machte einige rastlose Schritte und blieb wieder stehen. Sein Schatten bewegte sich über das Pflaster wie ein ungleichmäßiges Pendel, das den Weg eines stillen Kampfes beschrieb. Es war ein Mann, der mit sich selbst darum kämpfte, ob er eintreten oder flüchten sollte.
    Seltsam unbeteiligt sah sie ihm weiter zu. Sie besaß nicht die Kraft zu reagieren, sondern nur zu beobachten. Wie betäubt und abwesend fragte sie sich: Wer war er? Hatte er sie aus der Dunkelheit beobachtet? Hatte er durch das kahle, erhellte Fenster gesehen, wie sie auf ihrem Schreibtisch zusammengesunken war? Hatte er ihre verzweifelte Einsamkeit beobachtet, wie sie jetzt seine beobachtete? Sie fühlte nichts. Sie beide waren allein in der Stille einer toten Stadt – es kam ihr vor, als wäre er meilenweit entfernt, die Spiegelung eines Leidens ohne Identität, ein anderer Überlebender, dessen Problem ihr ebenso fremd war wie ihm das ihre. Er ging weiter, hinaus aus ihrem Blickfeld, und kam wieder zurück. Sie saß da und beobachtete auf dem nassglänzenden Pflaster einer dunklen Seitengasse den Schatten einer unbekannten Qual.
    Einmal mehr bewegte der Schatten sich weg. Sie wartete. Er kam nicht zurück. Erst jetzt sprang sie auf. Sie hatte den Ausgang des Kampfes sehen wollen. Jetzt, wo er ihn gewonnen – oder verloren – hatte, durchfuhr sie plötzlich das dringende Bedürfnis, seine Identität und seinen Beweggrund zu erfahren. Sie rannte durch das dunkle Vorzimmer, stieß die Tür auf und sah hinaus.
    Die Gasse war leer. Das Pflaster verlief sich in der Ferne wie ein Band aus nassem Spiegelglas, das einige vereinzelte Lichter reflektierte. Es war niemand zu sehen. Sie sah das schwarze Loch eines eingeschlagenen Schaufensters eines verlassenen Ladens. Dahinter befanden sich die Türen einiger Fremdenpensionen. Auf der anderen Straßenseite glitzerten Regenfäden im Licht einer Lampe, die über dem schwarzen Spalt einer geöffneten Tür zu den unterirdischen Tunneln von Taggart Transcontinental hing.
    *
    Rearden unterzeichnete die Papiere, schob sie

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