Der Streik
auf ihre Brust.
Dann, als er sie umarmt hielt, sah er sie lange und schweigend an. „Was hast du mit diesem Armband gemacht?“, fragte er.
Sie hatten es nie erwähnt; es dauerte einen Augenblick, bis sie die Sicherheit in ihrer Stimme wiedergewonnen hatte. „Ich habe es noch“, antwortete sie.
„Ich möchte, dass du es trägst.“
„Wenn jemand dahinterkommt, wirst du schlimmer dran sein als ich.“
„Trag es.“
Sie holte das Armband aus Rearden-Metall. Sie hielt ihm das grünblau schimmernde Band wortlos auf ihrer Handfläche hin und sah ihm fest in die Augen. Er erwiderte ihren Blick und befestigte das Armband an ihrem Handgelenk. In dem Augenblick, als die Schließe unter seinen Fingern zuschnappte, beugte sie sich hinunter und küsste seine Hand.
*
Die Erde floss unter die Motorhaube ihres Wagens. Die Schnellstraße, die sich in Kurven durch die Hügel von Wisconsin wand, war das einzige Zeugnis menschlicher Anstrengung. Eine wackelige Brücke erstreckte sich über ein Meer aus Gestrüpp, Unkraut und Bäumen, das mit seiner Gischt aus gelben und orangen Flächen, den vereinzelten roten Spritzern an den Berghängen und den Becken aus dem letzten verbliebenen Grün in den Senken sanft unter dem makellos blauen Himmel wogte. Unter all den Farben dieser Ansichtskartenidylle wirkte ihre Motorhaube wie das Werk eines Juweliers: Die Sonne glitzerte auf dem verchromten Stahl, und in der schwarzen Lackierung spiegelte sich der Himmel.
Dagny lehnte mit ausgestreckten Beinen gegen die Ecke des Seitenfensters. Sie genoss die Bequemlichkeit des breiten Sitzes und die Wärme der Sonne auf ihren Schultern; das Land war schön, dachte sie.
„Ich würde gerne eine Reklametafel sehen“, sagte Rearden.
Sie lachte. Er hatte ihren heimlichen Gedanken ausgesprochen. „Die was an wen verkaufen soll? Wir haben schon über eine Stunde kein Auto und kein Haus mehr gesehen.“
„Gerade das gefällt mir daran nicht.“ Mit den Händen am Lenkrad beugte er sich etwas nach vorne und runzelte die Stirn. „Sieh dir nur diese Straße an.“
Der lange Betonstreifen war so ausgeblichen, dass er dem staubigen Grau von Knochen in der Wüste glich, als hätten Sonne und Schneefälle die Spuren von Reifen, Öl und Ruß, der glänzenden Politur, die der Verkehr hinterließ, verschluckt. Unkraut wuchs aus den gezackten Rissen im Beton. Viele Jahre lang war die Straße weder benutzt noch repariert worden; trotzdem zeigte sie nur wenige Risse.
„Es ist eine gute Straße“, sagte Rearden. „Sie wurde so gebaut, damit sie lange hält. Der Mann, der sie gebaut hat, muss guten Grund gehabt haben anzunehmen, dass sie in den folgenden Jahren eine Menge Schwerverkehr tragen würde.“
„Ja …“
„Dieser Anblick gefällt mir nicht.“
„Mir auch nicht.“ Dann lächelte sie. „Aber denke nur daran, wie oft wir die Beschwerden der Leute anhören mussten, die sagten, Reklametafeln zerstörten die Landschaft. Hier hätten sie eine Landschaft zu bewundern, die nicht zerstört wurde.“ Dann fügte sie hinzu: „Das sind die Leute, die ich hasse.“
Sie wollte dieses Unbehagen nicht spüren, das sich wie ein feiner Riss in der Freude über diesen Tag anfühlte. Während der letzten drei Wochen hatte sie dieses Unbehagen beim Anblick der Landschaft, die an der Fläche ihrer Motorhaube vorbeizog, manchmal gespürt. Sie lächelte: Die Motorhaube war der feste Punkt in ihrem Blickfeld gewesen, während die Erde sich vorbeibewegt hatte, die Motorhaube war der Mittelpunkt gewesen, der Brennpunkt, der Anker in einer verschwommenen, zerfallenden Welt … die Motorhaube vor ihr und vor Reardens Händen auf dem Lenkrad an ihrer Seite … Lächelnd dachte sie, dass sie zufrieden damit war, dass ihre Welt so aussah.
Nach der ersten Woche ihrer ziellosen Reise, in der sie sich dem Zufall und der Gnade unbekannter Weggabelungen überlassen hatten, hatte er eines Morgens beim Aufbruch zu ihr gesagt: „Dagny, muss denn das Ausruhen ohne Ziel sein?“ Lachend hatte sie geantwortet: „Nein. Welche Fabrik würdest du gerne besichtigen?“ Er hatte gelächelt – über die Schuld, die er nicht auf sich nehmen und die Erklärungen, die er nicht geben musste – und geantwortet: „Es ist eine verlassene Erzmine in der Nähe von Saginaw Bay, von der ich gehört habe. Sie sagen, sie sei erschöpft.“
Sie waren quer durch Michigan zu der Erzmine gefahren. Sie waren durch eine leere Grube gewandert, wo sich die Reste eines Krans wie ein Skelett
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