Der Streik
…
Als er auf dem Weg zu ihrer Wohnung durch die dunklen Straßen ging, hielt Rearden die Hände in seinen Manteltaschen und die Arme eng an den Körper gepresst, weil er das Gefühl hatte, nichts berühren zu wollen oder irgendjemanden zu streifen. Er hatte ihn noch nie zuvor empfunden – diesen Ekel, der nicht von einem bestimmten Gegenstand hervorgerufen wurde, sondern alles um ihn herum zu überschwemmen und die Stadt aufzuweichen schien. Er konnte Abscheu gegenüber jeder beliebigen Sache verstehen, und er konnte diese Sache mit der gesunden Entrüstung des Wissens bekämpfen, dass sie nicht in die Welt gehörte; aber dies war ihm neu – dieses Gefühl, dass die Welt ein ekelerregender Ort war, an den er nicht gehören wollte.
Er hatte sich mit den Kupferproduzenten beraten, denen man mit einer Reihe von neuen Richtlinien eine Schlinge um den Hals gelegt hatte, die ihnen innerhalb des nächsten Jahres die Luft abschnüren würde. Er konnte ihnen keinen Rat geben, keine Lösung anbieten. Sein Einfallsreichtum, der ihm den Ruf eingebracht hatte, immer einen Weg zu finden, die Produktion fortzusetzen, konnte keinen Weg finden, um sie zu retten. Aber sie alle hatten gewusst, dass es keinen Ausweg gab; Einfallsreichtum war eine Tugend des Verstandes – und in der Sache, mit der sie es zu tun hatten, war der Verstand schon lange als irrelevant verworfen worden. „Es war eine Abmachung zwischen Washington und den Kupferimporteuren“, hatte ein Mann gesagt, „vor allem D’Anconia Copper.“
Es hatte ihm nur einen kleinen, unbedeutenden Stich versetzt, dachte er, das Gefühl, dass eine Erwartung enttäuscht worden war, die zu hegen er niemals das Recht gehabt hatte. Er hätte wissen müssen, dass dies genau das war, was ein Mann wie Francisco d’Anconia tun würde – und er fragte sich wütend, warum er den Eindruck hatte, als wäre irgendwo in einer lichtlosen Welt eine helle, kurz aufflackernde Flamme erloschen.
Er wusste nicht, ob die Unmöglichkeit zu handeln ihm dieses Hassgefühl gegeben hatte oder ob der Hass ihm den Wunsch zu handeln genommen hatte. Es ist beides, dachte er; ein Wunsch setzt voraus, dass man handeln kann, um ihn zu verwirklichen; Handeln setzt ein Ziel voraus, das wert ist, erreicht zu werden. Wenn das einzig mögliche Ziel darin bestand, einen Augenblick lang das fragwürdige Wohlwollen von Männern mit Waffen in der Hand zu erlangen, dann konnten weder Handeln noch Wünschen länger bestehen.
Konnte es dann noch Leben geben?, fragte er sich gleichgültig. Leben, dachte er, war als Bewegung definiert; das menschliche Leben war zielgerichtete Bewegung; in welchem Zustand befand sich ein Wesen, dem Ziel und Bewegung verwehrt wurden, ein Wesen, das in Ketten gehalten wurde, jedoch atmen und all die wundervollen Dinge sehen konnte, die es hätte erreichen können, das immer noch „Warum?“ schreien konnte und als einzige Antwort den Lauf eines Gewehrs zu sehen bekam? Er zuckte mit den Schultern und ging weiter; es interessierte ihn nicht einmal mehr, eine Antwort darauf zu finden.
Gleichgültig betrachtete er die Verwüstung, die seine eigene Gleichgültigkeit anrichtete. Egal, wie hart die Kämpfe gewesen waren, die er in der Vergangenheit durchgestanden hatte, es war nie zu der letzten Abscheulichkeit gekommen, dass er den Willen zu handeln verlor. In schmerzvollen Augenblicken hatte er es nie zugelassen, dass der Schmerz einen bleibenden Sieg davontrug: Er hatte ihm niemals erlaubt, ihm sein Verlangen nach Freude zu nehmen. Er hatte niemals das Wesen der Welt und die Größe des Menschen bezweifelt, der ihre Antriebskraft und ihr Herzstück war. Vor Jahren hatte er sich mit verächtlichem Unverständnis über die fanatischen Sekten gewundert, die in den dunklen Winkeln der Geschichte unter den Menschen auftauchten, Sekten, die glaubten, dass der Mensch in einem böswilligen Universum gefangen war, in dem das Böse regierte, dessen einziger Zweck es war, ihn zu quälen. Heute Abend wusste er, wie sie die Welt gesehen und empfunden hatten. Wenn das, was er jetzt ringsum sah, die Welt war, in der er lebte, dann wollte er mit keinem Teil von ihr in Berührung kommen, er wollte sie nicht bekämpfen, er war ein Außenseiter, für den nichts auf dem Spiel stand und dem es gleichgültig war, ob er noch länger lebte.
Dagny und sein Wunsch, sie zu sehen, waren das Einzige, was ihm geblieben war. Dieser Wunsch verging nicht. Aber mit einem plötzlichen Erschrecken wurde ihm klar, dass er
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