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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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heute nicht das Verlangen verspürte, mit ihr zu schlafen. Dieses Verlangen – das ihn nie auch nur einen Augenblick lang in Ruhe gelassen hatte, das immer stärker geworden war und sich an seiner eigenen Befriedigung nährte – war ausgelöscht. Es war ein seltsames Unvermögen, das jedoch weder seinem Geist noch seinem Körper entsprang. Er fühlte mit der gleichen Leidenschaft wie immer, dass sie die begehrenswerteste Frau auf der Erde war; doch daraus entstand nur das Begehren, sie zu begehren, nur ein Wunsch zu fühlen, kein Gefühl. Die Empfindungslosigkeit schien ihn nicht zu betreffen, als läge seine Wurzel weder in ihm noch in ihr; als gehörte der Geschlechtsverkehr in eine Welt, die er verlassen hatte.
    „Steh nicht auf, bleib dort. Es ist so offensichtlich, dass du auf mich gewartet hast, dass ich es mir noch länger ansehen möchte.“
    Er sagte es, als er in der Eingangstür ihrer Wohnung stand und sie ausgestreckt in einem Lehnstuhl liegen sah. Er hatte den kleinen Ruck gesehen, mit dem sie ihre Schultern nach vorne warf, um aufzustehen. Er lächelte.
    Er bemerkte – als beobachtete ein Teil von ihm seine Reaktionen mit distanzierter Neugierde –, dass sein Lächeln und das plötzlich aufkommende Gefühl der Freude echt waren. Er begriff etwas, das er immer gefühlt, aber nie genau bestimmt hatte, weil es immer so absolut und unmittelbar gewesen war: ein Gefühl, das ihm untersagte, ihr jemals im Schmerz zu begegnen. Dabei ging es um viel mehr als den Stolz, sein Leiden zu verbergen. Es war das Gefühl, dass dem Leiden in ihrer Gegenwart keine Achtung geschenkt werden durfte, dass zwischen ihnen niemals irgendein Anspruch mit Leid begründet werden oder auf Mitleid abzielen sollte. Es war kein Mitleid, das er hierher mitbrachte oder hier finden wollte.
    „Brauchst du immer noch Beweise dafür, dass ich immer auf dich warte?“, fragte sie, während sie sich ergeben in ihrem Stuhl zurücklehnte. Ihre Stimme war weder sanft noch flehend, sondern hell und spöttisch.
    „Warum würden das die meisten Frauen nicht zugeben, Dagny, aber du tust es?“
    „Weil sie nie ganz sicher sind, dass sie begehrenswert sind. Ich bin es.“
    „Ich bewundere Selbstbewusstsein.“
    „Selbstbewusstsein war nur ein Teil dessen, was ich gesagt habe, Hank.“
    „Woraus besteht der Rest?“
    „Vertrauen in meinen Wert – und deinen.“ Er sah sie an, als erfasste er plötzlich den Funken eines Gedanken, und sie lachte, während sie weitersprach: „Ich bin nicht sicher, ob ich einen Mann wie zum Beispiel Orren Boyle halten könnte. Er würde mich überhaupt nicht wollen. Du schon.“
    „Willst du damit sagen“, fragte er langsam, „dass ich in deinem Ansehen gestiegen bin, als du entdecktest, dass ich dich begehre?“
    „Natürlich.“
    „So reagieren die meisten Menschen nicht darauf, dass sie begehrt werden.“
    „Nein.“
    „Die meisten Menschen steigen selbst in ihrem eigenen Ansehen, wenn andere sie begehren.“
    „Ich habe das Gefühl, dass andere sich auf meine Ebene begeben, wenn sie mich begehren. Und das ist auch die Art und Weise, wie du empfindest, Hank, wenn es um dich geht – ob du es nun zugibst oder nicht.“
    Das ist nicht das, was ich dir damals, an diesem ersten Morgen gesagt habe, dachte er, während er zu ihr hinuntersah. Sie hatte sich träge ausgestreckt, ihr Gesicht war entspannt, doch ihre Augen leuchteten amüsiert. Er wusste, dass sie daran dachte und dass sie wusste, dass er daran dachte. Er lächelte, sagte aber nichts weiter.
    Als er zurückgelehnt auf der Couch saß und sie quer durch den Raum hindurch beobachtete, fühlte er einen inneren Frieden – als wäre vorübergehend eine Mauer zwischen ihm und den Dingen, die er auf dem Weg hierher gefühlt hatte, errichtet worden. Er erzählte ihr von seiner Begegnung mit dem Mann vom State Science Institute, weil er, obwohl er wusste, dass die Begebenheit für ihn eine Gefahr darstellte, immer noch ein merkwürdig intensives Gefühl der Befriedigung darüber empfand.
    Er musste über ihren empörten Blick lachen. „Mach dir nicht die Mühe, dich über sie zu ärgern“, sagte er. „Es ist nicht schlimmer als alles andere, das sie täglich tun.“
    „Hank, möchtest du, dass ich mit Dr. Stadler darüber spreche?“
    „Auf keinen Fall!“
    „Er sollte sie aufhalten. Wenigstens das könnte er tun.“
    „Lieber ginge ich ins Gefängnis. Dr. Stadler? Du hast doch nichts mit ihm zu tun, oder?“
    „Ich habe ihn vor wenigen Tagen

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