Der Streik
die er brauchte. Das Projekt sollte ein Geheimnis zwischen ihnen bleiben, bis er das Ziel erreicht hatte – falls er es erreichte.
„Miss Taggart“, sagte er abschließend, „ich weiß nicht, wie viele Jahre ich brauchen werde, um das Rätsel zu lösen, falls es mir überhaupt jemals gelingt. Aber ich weiß, wenn ich den Rest meines Lebens damit verbringe und es schaffe, werde ich als zufriedenerer Mensch sterben.“ Dann fügte er hinzu: „Nur eine einzige Sache wünsche ich mir noch mehr, als das Rätsel zu lösen: den Mann zu treffen, der es bereits gelöst hat.“
Seit seiner Rückkehr nach Utah hatte sie ihm einmal im Monat einen Scheck geschickt und er ihr einen Bericht über seine Arbeit. Es war noch zu früh, um zu hoffen, aber seine Berichte waren die einzigen Lichtblicke im dichten Nebel ihrer Tage im Büro.
Sie hob den Kopf, als sie seine Seiten zu Ende gelesen hatte. Der Kalender in der Ferne zeigte immer noch den 2. September. Darunter leuchteten die Lichter der Stadt; sie breiteten sich aus und glitzerten. Sie dachte an Rearden. Sie wünschte, er wäre in der Stadt; sie wünschte, sie könnte ihn an diesem Abend sehen.
Dann, als ihr das Datum bewusst wurde, erinnerte sie sich plötzlich daran, dass sie nach Hause eilen musste, um sich umzuziehen, denn heute Abend musste sie an Jims Hochzeitsfeier teilnehmen. Sie hatte Jim über ein Jahr lang außerhalb des Büros nicht gesehen. Sie hatte seine Verlobte noch nie getroffen, aber sie hatte in den Zeitungen genug über die Verlobung gelesen. In müder Resignation erhob sie sich widerwillig von ihrem Schreibtisch: Es erschien ihr leichter, dieser Hochzeit beizuwohnen, als hinterher ihre Abwesenheit erklären zu müssen.
Sie eilte eben durch die Halle des Taggart Terminals, als sie eine Stimme hörte, die mit einem seltsam dringenden und gleichzeitig zögernden Ton „Miss Taggart!“ rief. Unvermittelt blieb sie stehen; sie brauchte einige Sekunden, um zu erkennen, dass es der alte Mann vom Zeitungsladen war, der sie gerufen hatte.
„Ich habe schon seit Tagen nach Ihnen Ausschau gehalten, Miss Taggart. Ich muss dringend mit Ihnen sprechen.“ Ein seltsamer Ausdruck lag in seinem Gesicht, der Ausdruck von jemandem, der sich Mühe gibt, nicht ängstlich zu erscheinen.
„Es tut mir leid“, sagte sie mit einem Lächeln, „ich bin die ganze Woche hier rein und raus gelaufen und hatte nie Zeit stehen zu bleiben.“
Er lächelte nicht. „Diese Zigarette mit dem Dollarzeichen, Miss Taggart, die Sie mir vor einigen Monaten gegeben haben … woher haben Sie sie?“
Sie stand einen Augenblick regungslos da. „Ich fürchte, das ist eine lange, komplizierte Geschichte“, antwortete sie.
„Haben Sie die Möglichkeit, mit der Person, die sie Ihnen gegeben hat, in Kontakt zu treten?“
„Ich nehme an, obwohl … ich bin nicht sicher. Warum?“
„Würde diese Person Ihnen sagen, woher sie sie hat?“
„Das weiß ich nicht. Was lässt Sie annehmen, dass sie es nicht sagen würde?“
Er zögerte, bevor er fragte: „Miss Taggart, was würden Sie tun, wenn Sie jemandem etwas sagen müssten, von dem Sie wissen, dass es unmöglich ist?“
Sie musste lachen. „Der Mann, der mir die Zigarette gegeben hat, sagte, man müsse in einem solchen Fall seine Prämissen überprüfen.“
„Das hat er tatsächlich gesagt? Über die Zigarette?“
„Nein, nicht direkt. Aber warum? Was müssen Sie mir sagen?“
„Ich habe auf der ganzen Welt Nachforschungen angestellt, Miss Taggart. Ich habe jede Informationsquelle in der Tabakindustrie und in deren Umkreis befragt. Ich habe den Zigarettenstummel einer chemischen Analyse unterzogen. Es gibt keine Fabrik, die dieses Papier verarbeitet. Ich konnte keine Tabakmischung ausfindig machen, in der die Geschmacksstoffe aus diesem Tabak benutzt wurden. Diese Zigarette wurde von einer Maschine hergestellt, aber in keiner der Fabriken, die ich kenne – und ich kenne sie alle. Miss Taggart, meines Wissens wurde diese Zigarette nirgendwo auf Erden hergestellt.“
*
Rearden stand in seinem Hotelzimmer und beobachtete abwesend, wie der Kellner den Esstisch hinausrollte. Ken Danagger war gegangen. Das Zimmer lag im Halbdunkel; in unausgesprochener Übereinkunft hatten sie während ihres Essens das Licht verdunkelt, damit die Kellner Danaggers Gesicht nicht bemerkten und vielleicht wiedererkannten.
Sie hatten sich heimlich treffen müssen wie zwei Verbrecher, die nicht miteinander gesehen werden durften. Sie konnten sich
Weitere Kostenlose Bücher