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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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ungenannter Stahlmagnat in einem vornehmen Hotel gegeben hatte, auf jemandes Kopf zerbrochen worden war; der Stahlmagnat war Orren Boyle gewesen, doch der Artikel nannte keine Namen. „Es gibt noch immer Ungleichheit unter uns“, schrieben die Zeitungen, „die uns um die Errungenschaften unserer aufgeklärten Zeit bringt.“ „Entbehrungen zehren an den Nerven und der Gemütsruhe der Menschen. Die Lage nähert sich einem gefährlichen Stadium. Wir befürchten Gewaltausbrüche.“ „Wir befürchten Gewaltausbrüche“, schrieben die Zeitungen immer wieder.
    Am 28. Oktober griff eine Gruppe neuer Arbeiter bei Rearden Steel einen Vorarbeiter an und schlug die Windformen eines Hochofens ab. Zwei Tage später schlug eine ähnliche Gruppe die Fenster im Erdgeschoss des Verwaltungsgebäudes ein. Ein neuer Arbeiter zertrümmerte das Getriebe eines Krans, wobei geschmolzenes Metall aus einer Gießpfanne herabfloss und fünf umstehende Arbeiter nur um einen knappen Meter verfehlte. „Ich bin wohl durchgedreht vor Sorge um meine hungernden Kinder“, sagte der Arbeiter bei seiner Festnahme. „Das ist nicht die rechte Zeit, um darüber zu theoretisieren, wer recht hat und wer nicht“, kommentierten die Zeitungen. „Unsere einzige Sorge gilt der Tatsache, dass eine brenzlige Lage die Stahlproduktion unseres Landes gefährdet.“
    Rearden beobachtete, ohne Fragen zu stellen. Er wartete ab, als würde sich ihm gerade irgendein letztes Wissen offenbaren – ein Vorgang, der nicht beschleunigt oder aufgehalten werden durfte. Nein, dachte er, wenn er in der frühen Herbstabenddämmerung aus dem Fenster seines Büros sah, nein, sein Stahlwerk war ihm nicht gleichgültig. Doch einst hatte er dafür die gleiche Leidenschaft wie für ein lebendiges Wesen empfunden, und nun verspürte er nur noch die wehmütige Zärtlichkeit, die man bei der Erinnerung an einen geliebten verstorbenen Menschen empfindet. Das besondere Gefühl, das man für die Toten hegt, dachte er, hat seine Ursache darin, dass keine Handlung mehr möglich ist.
    Am Morgen des 31. Oktober erhielt er einen Bescheid, dem zufolge sein gesamtes Eigentum einschließlich seiner Bankkonten und Bankschließfächer gepfändet worden sei, um ein Urteil zu vollstrecken, das in einem Gerichtsverfahren wegen Mängeln bei seiner persönlichen Einkommensteuererklärung drei Jahre zuvor gegen ihn erwirkt worden war. Es war ein vorschriftsmäßiger Bescheid, der sämtliche gesetzlichen Anforderungen erfüllte – bis auf die Tatsache, dass solche Mängel nie existiert hatten und ein derartiges Gerichtsverfahren nie stattgefunden hatte.
    „Nein“, sagte er zu seinem empörten und bestürzten Anwalt, „fragen Sie sie nicht, antworten Sie nicht, erheben Sie keine Einwände.“ „Aber das ist völlig absurd!“ „Absurder als alles andere?“ „Hank, wollen Sie wirklich, dass ich nichts unternehme? Dass ich es einfach auf uns sitzen lasse?“ „Nein, wir stehen das durch. Und ich meine stehen . Rühren Sie sich nicht. Unternehmen Sie nichts.“ „Aber die haben Sie völlig hilflos gemacht.“ „Meinen Sie?“, fragte er leise und lächelte.
    Er besaß ein paar Hundert Dollar in bar in seiner Brieftasche, sonst nichts. Doch ihm war eigentümlich warm und leicht ums Herz bei dem Gedanken an den massiven Goldbarren in einem geheimen Tresor seines Schlafzimmers, den ihm ein goldhaariger Pirat gegeben hatte – es fühlte sich an wie ein Händedruck aus der Ferne.
    Am nächsten Tag, dem 1. November, erhielt er einen Anruf aus Washington, von einem Bürokraten, dessen Stimme auf den Knien durch das Kabel zu rutschen schien und der wortreich um Entschuldigung bat. „Ein Irrtum, Mr. Rearden! Es war nichts als ein unglücklicher Irrtum! Diese Pfändung war nicht für Sie bestimmt. Sie wissen ja, wie das heutzutage ist mit der Inkompetenz sämtlicher Bürohilfen und dem ganzen Papierkrieg, in den wir verwickelt sind. Irgendein Stümper hat die Aufzeichnungen durcheinandergebracht und den Pfändungsbescheid gegen Sie bearbeitet – dabei war es gar nicht Ihr Fall, genau genommen war es der Fall eines Seifenherstellers! Bitte nehmen Sie unsere Entschuldigung an, Mr. Rearden, unsere tief empfundene persönliche Entschuldigung auf höchster Ebene.“ Die Stimme machte eine kleine erwartungsvolle Pause. „Mr. Rearden …?“ „Ich höre.“ „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie leid es uns tut, Ihnen Schwierigkeiten oder Unannehmlichkeiten bereitet zu haben. Und aufgrund dieser

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