Der Streik
gehst du hin?“
„Ich werde Laternenmast und stehe bis zum Morgengrauen mit einer Laterne da – das ist die Arbeit, zu der deine Welt mich degradiert, und die einzige Arbeit, die sie von mir bekommt.“
Sie packte ihn am Arm, um ihn festzuhalten, um ihm zu folgen, ihm blindlings zu folgen, nahm nichts anderes mehr wahr als den Anblick seines Gesichts. „John!“
Er packte ihr Handgelenk, verdrehte ihr die Hand und schüttelte sie ab. „Nein.“
Dann führte er ihre Hand an die Lippen, und der Druck seines Mundes war ein leidenschaftlicheres Bekenntnis als alles, was er ihr heute Abend freiwillig gestanden hatte. Schließlich ging er davon, folgte dem Gleis, das in der Ferne verschwand, und ihr schien, dass das Gleis und seine Gestalt sie gleichzeitig verließen.
Als sie hinaus in die Bahnhofshalle des Terminals stolperte, erschütterte gerade das Donnern der ersten Räder, die wieder rollten, wie ein plötzlich wieder einsetzender Herzschlag die Wände des Gebäudes. Ansonsten lag Nathaniel Taggarts Tempel still und verlassen da, und das gleiche Licht wie immer fiel auf eine beinahe menschenleere Marmorfläche. Einige schäbige Gestalten schlurften durch die Halle, als hätten sie sich in der glänzenden Weite verirrt. Auf den Stufen des Podests, unter der gestrengen, ehrfurchtgebietenden Statue, saß zusammengesunken ein zerlumpter Landstreicher, resigniert und passiv wie ein gerupfter Vogel, der kein Zuhause hatte und auf jedem Sims ausruhte, auf das er zufällig stieß.
Sie ließ sich auf die Stufen des Podests sinken wie eine weitere Obdachlose und saß eng in das staubige Cape gehüllt, den Kopf auf den Arm gelegt, reglos da. Über Tränen oder Gefühle oder Bewegung war sie hinaus.
Unentwegt hatte sie das Bild eines Mannes mit erhobener Laterne vor Augen. Manchmal wirkte er auf sie wie die Freiheitsstatue, dann wieder wie ein Mann mit sonnengesträhntem Haar, der eine Laterne zum Mitternachtshimmel erhob, eine rote Laterne, die jegliche Bewegung auf der Welt anhielt.
„Nehmen Sie es sich nicht zu Herzen, Lady, egal, was es ist“, sagte der Landstreicher in erschöpftem, mitfühlendem Ton. „Man kann sowieso nichts daran ändern. … Was soll das nutzen? Wer ist John Galt?“
VI. Das Konzert der Erlösung
A m 20. Oktober forderte die Stahlarbeitergewerkschaft bei Rearden Steel eine Lohnerhöhung.
Hank Rearden erfuhr davon aus den Zeitungen. Ihm war keine Forderung präsentiert worden, und man hatte es nicht für nötig erachtet, ihn in Kenntnis zu setzen. Die Forderung wurde gegenüber der Vereinigungsbehörde erhoben; es wurde nicht erklärt, warum keinem anderen Stahl produzierenden Unternehmen eine vergleichbare Forderung präsentiert worden war. Er konnte nicht sagen, ob die Fordernden seine Arbeiter vertraten oder nicht, da die die aktuellen Vorschriften der Behörde zu Gewerkschaftswahlen eine solche Feststellung unmöglich gemacht hatten. Er erfuhr lediglich, dass die Gruppe aus jenen Neulingen bestand, welche die Behörde in den vergangenen Monaten in sein Stahlwerk eingeschmuggelt hatte.
Am 23. Oktober wies die Vereinigungsbehörde die Forderung der Gewerkschaft zurück und lehnte es ab, die Erhöhung zu gewähren. Falls es in dieser Sache Anhörungen gegeben hatte, so hatte Rearden nichts davon erfahren. Man hatte ihn nicht zu Rate gezogen, informiert oder benachrichtigt. Er hatte abgewartet und von sich aus keine Fragen gestellt.
Am 25. Oktober begannen die Zeitungen, die von denselben Männern kontrolliert wurden wie die Behörde, eine Mitleidskampagne für die Arbeiter von Rearden Steel. Sie druckten Artikel über die Ablehnung der Lohnerhöhung, wobei sie nicht erwähnten, wer sie abgelehnt hatte oder wer die alleinige Befugnis zur Ablehnung hatte, als zählten sie darauf, dass die Öffentlichkeit die gesetzlichen Formalitäten im Trommelfeuer der Artikel vergessen würde, die andeuteten, dass der Arbeitgeber die natürliche Ursache allen Elends war, unter dem Arbeitnehmer litten. Sie druckten einen Artikel, der beschrieb, unter welchen Härten die Arbeiter von Rearden Steel aufgrund der steigenden Lebenshaltungskosten litten, neben einem Artikel, der Hank Reardens Gewinne vor fünf Jahren schilderte. Sie druckten einen Artikel über die Not der Ehefrau eines Rearden-Arbeiters, die sich auf der verzweifelten Suche nach etwas zu essen von Geschäft zu Geschäft schleppte, neben einem Artikel über eine Champagnerflasche, die bei einer alkoholseligen Gesellschaft, die ein
Weitere Kostenlose Bücher