Der Streik
Tor ins Stahlwerk, nahm kaum Notiz von den Wachen, die ihn einließen, ihm ins Gesicht und auf seine Last starrten. Er blieb nicht stehen, um zu hören, was sie ihm sagen wollten, während sie auf die Kämpfe in der Ferne deuteten; er ging langsam weiter auf die erleuchtete offene Tür des Krankenhauses zu.
Er betrat einen hellen, nach Antiseptika riechenden Raum, in dem sich Männer mit blutigen Verbänden drängten; er legte seine Last wortlos auf eine Bank und ging ohne einen Blick zurück wieder hinaus.
Er hielt auf das vordere Tor zu, wo er den Feuerschein sah und Gewehrsalven hörte. Hin und wieder rannten einige Gestalten durch die Lücken zwischen Gebäuden oder hasteten um dunkle Ecken, verfolgt von Gruppen aus Wachen und Arbeitern; erstaunlicherweise waren seine Arbeiter gut bewaffnet. Sie schienen die Schläger im Inneren des Stahlwerks überwältigt zu haben, und nur die Belagerung am Haupttor musste noch zurückgeschlagen werden. Einer der Unruhestifter huschte gerade durch einen Lichtkegel, schlug dann mit einem langen Rohr wie ein Berserker auf eine Fensterwand ein und tanzte dabei wie ein Gorilla zum Klang zersplitternden Glases, bis drei stämmige menschliche Gestalten sich auf ihn stürzten und ihn zu Boden warfen.
Die Belagerung am Tor schien zu erlahmen, als wäre der Meute das Rückgrat gebrochen worden. In der Ferne hörte er sie noch kreischen – doch die Schüsse, die von der Straße her kamen, wurden seltener, der Brand im Pförtnerhaus war gelöscht worden, und auf Simsen und an Fenstern waren bewaffnete Männer in wohldurchdachter Verteidigung postiert.
Als er sich dem Tor näherte, entdeckte er auf dem Dach eines Gebäudes darüber die Silhouette eines Mannes, der in jeder Hand eine Waffe hielt und aus der Deckung hinter einem Schornstein regelmäßig hinab in die Meute feuerte, in schnellen Salven und, wie es schien, in zwei Richtungen zugleich – wie ein Torwächter. Seine selbstsicheren, geschickten Bewegungen, seine lässige Art zu schießen, ohne Zeit mit Zielen zu vergeuden, und dabei doch niemals das Ziel zu verfehlen, ließen ihn aussehen wie ein Westernheld – und Rearden beobachtete ihn mit distanziertem, unpersönlichem Vergnügen, als wäre der Kampf um sein Stahlwerk nicht mehr sein Kampf, als wüsste er den Anblick des Könnens und der Gewissheit, mit denen die Menschen früherer Zeitalter einst das Böse bekämpft hatten, aber dennoch zu würdigen.
Der Kegel eines Suchscheinwerfers traf Reardens Gesicht, und als er weiterwanderte, sah er, dass der Mann auf dem Dach sich hinabbeugte und in seine Richtung spähte. Dann winkte er jemandem zu, ihn zu vertreten, und verschwand abrupt von seinem Posten.
Rearden eilte durch den schmalen Streifen Dunkelheit vor ihm – doch da hörte er seitlich von sich, in der Mündung einer Gasse, einen Betrunkenen brüllen: „Da ist er!“ Er fuhr herum und erblickte zwei bullige Gestalten, die auf ihn zukamen. Er sah ein höhnisches, geistloses Gesicht mit einem schlaffen Mund, der freudlos kicherte, und eine Faust, die eine Keule hob – dann hörte er Schritte, die sich eilig aus einer anderen Richtung näherten, und wollte den Kopf drehen, doch da fuhr die Keule von hinten auf seinen Schädel nieder – und in dem Augenblick, als sich Dunkelheit vor ihm auftat, als er schwankte und es noch nicht glauben konnte, dann aber merkte, wie er zu Boden ging, da spürte er einen starken Arm, der ihn schützend packte und seinen Sturz abfing, und hörte den ohrenbetäubenden Knall einer Waffe Zentimeter über seinem Ohr und im selben Moment einen weiteren Knall, doch nur noch schwach und entfernt, als wäre er in einen Schacht gestürzt.
Als er die Augen aufschlug, war seine erste Wahrnehmung eine tiefe, heitere Gelassenheit. Dann sah er, dass er in einem modernen, streng und geschmackvoll eingerichteten Raum auf einer Couch lag – und dann erkannte er, dass es sein Büro war und dass die beiden Männer neben ihm der Arzt und der Werkleiter waren. In seinem Kopf verspürte er wie von ferne einen dumpfen Schmerz, der wohl heftig gewesen wäre, wenn er darauf geachtet hätte, und auf den Haaren an der Seite seines Kopf ertastete er ein Pflaster. Die heitere Gelassenheit entsprang dem Wissen, dass er frei war.
Das Pflaster und sein Büro hatten widersprüchliche Bedeutungen, die nicht miteinander vereinbart werden konnten – mit einem solchen Widerspruch konnte kein Menschen leben. Es war nicht mehr sein Kampf, nicht mehr seine Aufgabe,
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