Der Streik
drückte; nur darin kam sein Eifer zum Ausdruck; seine Stimme war bloß ein Flüstern: „Ich will es versuchen, Mr. Rearden.“
„Jetzt helfen Sie mir, Sie zu einem Arzt zu bringen. Entspannen Sie sich einfach, bleiben Sie ganz ruhig, und lassen Sie mich Sie hochheben.“
„Ja, Mr. Rearden.“ Mit einem Ruck gelang es dem jungen Mann, sich auf einen Ellbogen aufzustützen.
„Ganz ruhig, Tony.“
Er sah, wie es im Gesicht des Jungen zuckte, er versuchte sein altes unverschämtes breites Grinsen zustande zu bringen. „Nicht mehr Meister Nichtabsolut?“
„Nein, jetzt nicht mehr. Sie sind jetzt etwas ganz und gar Absolutes, und das Sie wissen auch.“
„Ja. Ich kenne jetzt eine ganze Menge absoluter Dinge. Da ist eines“ – er deutete auf das Loch in seiner Brust –, „das ist etwas Absolutes, nicht wahr? Und …“ Während Rearden ihn so langsam hochhob, dass die Bewegung kaum zu spüren war, sprach er mit bebender Stimme weiter, als wirkte die Inbrunst seiner Worte wie ein Schmerzmittel. „Und die Menschen können nicht leben … wenn korrupte Mistkerle … wie die in Washington … durchkommen mit Sachen wie … wie der hier heute Abend … wenn alles zu einem widerlichen Schwindel wird … und nichts mehr real ist … und niemand jemand ist … so können die Menschen nicht leben … das ist etwas Absolutes, nicht wahr?“
„Ja, Tony, das ist etwas Absolutes.“
Vorsichtig und unter großer Anstrengung stand Rearden langsam auf. Als er den jungen Mann behutsam an seine Brust lehnte und ihn wie einen Säugling im Arm hielt, verzog dieser vor Schmerzen das Gesicht – doch mit einem Male verwandelte sich die Qual in seinen Zügen erneut in einen Abglanz seines alten unverschämten Grinsens, und er fragte: „Wer ist jetzt das Kindermädchen?“
„Ich schätze, ich.“
Er nahm die ersten Schritte auf dem lockeren Boden des Abhangs in Angriff, den Körper angespannt zu einem Stoßdämpfer für seine fragile Last, bemüht, sich gleichmäßig zu bewegen, obwohl der Boden kaum Halt bot.
Der Junge ließ den Kopf an Reardens Schulter sinken, zögerlich, als wäre dies eine Anmaßung. Rearden neigte den Kopf und drückte einen Kuss auf die staubige Stirn.
Ungläubig, halb empört, halb erstaunt, riss der Junge den Kopf zurück. „Wissen Sie, was Sie da getan haben?“, flüsterte er, als könnte er nicht glauben, dass der Kuss für ihn bestimmt war.
„Legen Sie Ihren Kopf wieder ab, und ich mache es noch einmal.“
Der Junge ließ den Kopf sinken, und Rearden küsste ihn auf die Stirn; es war wie die Anerkennung eines Vaters für den Kampf eines Sohnes.
Nun lag der junge Mann ganz still, das Gesicht verborgen, die Hände umklammerten Reardens Schultern. Rearden merkte nur an den schwachen, rhythmischen Erschütterungen an seiner Brust, dass der Junge weinte – und dieses Weinen war Kapitulation und Eingeständnis dessen, was er nicht in Worte fassen konnte.
Rearden ging weiter hangaufwärts, Schritt für tastenden Schritt, bemühte sich trotz des Unkrauts, der losen Erde, der Schrottteile, des Abfalls aus einem fernen Zeitalter um eine gleichförmige Bewegung. Er ging weiter auf die dünne Linie zu, wo das rote Glühen seines Stahlwerks über ihm den Rand der Grube markierte. Seine Bewegung war ein grimmiger Kampf, der die Form eines sanften, gemächlichen Fließens annehmen musste.
Noch immer hörte er kein Schluchzen, sondern nahm nur die rhythmischen Erschütterungen wahr, und durch den Stoff seines Hemdes hindurch spürte er anstelle von Tränen die warme Flüssigkeit, die bei jedem Schluchzer aus der Wunde gepumpt wurde. Er wusste, dass der feste Druck seiner Arme die einzige Antwort war, die der Junge nun wahrnehmen und verstehen konnte – und er hielt den zitternden Körper so, als könnte die Kraft seiner Arme einen Teil seiner Lebenskraft in dessen Arterien pumpen, in denen der Puls immer schwächer wurde.
Dann hörten die Erschütterungen auf, und der Junge hob den Kopf. Sein Gesicht wirkte schmaler und bleicher, doch die Augen glänzten, und er sah zu Rearden hoch und versuchte, die Kraft zu sprechen aufzubringen.
„Mr. Rearden … ich … ich habe Sie sehr gern gehabt.“
„Das weiß ich.“
Der Junge hatte nicht mehr die Kraft zu lächeln, das Lächeln lag nur in dem Blick, mit dem er Reardens Gesicht betrachtete – mit dem er das betrachtete, von dem er nicht gewusst hatte, dass er es in seinem kurzen Leben gesucht hatte, gesucht als das Inbild dessen, von dem er nicht
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