Der Streik
denselben Klang wie die Stimme, die sie im Radio gehört hatten. Noch ehe Dagny Zeit hatte, aus der Dunkelheit hinter der Gruppe hervorzutreten, hatten sich alle zu ihr umgedreht. Als sie vortrat, erschraken sie über ihr Gesicht – weil es frei von Furcht war.
„Ich kann es“, sagte sie an Mr. Thompson gewandt. „Sie müssen aufgeben.“
„Aufgeben?“, wiederholte er verblüfft.
„Sie sind am Ende. Sehen Sie denn nicht, dass Sie am Ende sind? Was brauchen Sie noch, nach allem, was Sie gehört haben? Geben Sie auf, und machen Sie den Weg frei. Lassen Sie die Menschen frei leben.“ Er schaute sie an, ohne ihr zu widersprechen oder sich zu rühren. „Noch sind Sie am Leben, Sie sprechen eine menschliche Sprache, Sie bitten um Antworten, Sie verlassen sich auf die Vernunft … Verdammt noch mal, Sie verlassen sich immer noch auf die Vernunft! Sie können verstehen. Es kann nicht sein, dass Sie nicht verstanden haben. Es gibt nichts, das Sie jetzt noch vorgeben könnten zu hoffen, zu wünschen, zu verdienen, sich anzueignen oder zu erreichen. Vor Ihnen liegt nichts als Zerstörung, die der Welt und Ihre eigene. Geben Sie auf, und verschwinden Sie.“
Sie hörten aufmerksam zu, aber so, als hörten sie nicht ihre Worte, sondern als würden sie sich blindlings an eine Eigenschaft klammern, die sie als Einzige von ihnen besaß: die Eigenschaft, lebendig zu sein. Die zornige Heftigkeit ihrer Stimme war mit dem Klang eines frohlockenden Lachens unterlegt, ihr Kopf war erhoben, ihren Augen schien sich in einer unberechenbaren Entfernung irgendein Schauspiel zu bieten, sodass der Lichtpunkt auf ihrer Stirn nicht wie der Reflex eines Studioscheinwerfers wirkte, sondern wie der eines Sonnenaufgangs.
„Sie wollen leben, oder nicht? Machen Sie den Weg frei, wenn Sie noch eine Chance wollen. Lassen Sie diejenigen übernehmen, die dazu in der Lage sind. Er weiß, was zu tun ist. Sie wissen es nicht. Er ist in der Lage, die Verhältnisse herzustellen, die der Mensch zum Überleben braucht. Sie sind es nicht.“
„Hören Sie nicht auf sie!“
Der Schrei war von einem so wilden Hass, dass sie von Dr. Robert Stadler abrückten, als hätte er etwas ausgesprochen, das sie sich selbst nicht einzugestehen wagten. Sein Gesicht sah so aus, wie sie fürchteten, dass ihre eigenen Gesichter im Schutz der Dunkelheit aussahen.
„Hören Sie nicht auf sie!“, schrie er und wich ihren Augen aus, während sie ihm einen kurzen, ruhigen Blick zuwarf, der als Ausdruck von Erstaunen begann und als ein Nachruf endete. „Es geht um Ihr Leben oder seines!“
„Seien Sie still, Professor“, sagte Mr. Thompson mit einer wegwerfenden Handbewegung. Mr. Thompson beobachtete Dagny, als bemühte sich ein Gedanke in seinem Kopf, Gestalt anzunehmen.
„Sie kennen die Wahrheit, Sie alle“, sagte sie, „auch ich kenne sie, und dasselbe gilt für alle, die John Galt gehört haben! Worauf warten Sie noch? Auf Beweise? Er hat sie Ihnen geliefert. Auf Tatsachen? Schauen Sie sich um. Wie viele Leichen wollen Sie noch auftürmen, bevor Sie darauf verzichten – auf Ihre Waffen, Ihre Macht, Ihre Beschränkungen und Ihr ganzes erbärmliches altruistisches Glaubensbekenntnis? Geben Sie sie auf, wenn Sie am Leben bleiben wollen. Geben Sie sie auf, wenn in Ihrem Kopf noch irgendwo der Wunsch existiert, dass weiterhin Menschen auf dieser Erde leben!“
„Aber das ist Verrat!“, schrie Eugene Lawson. „Was sie da sagt, ist schlichtweg Verrat!“
„Aber, aber“, sagte Mr. Thompson. „Man muss ja nicht bis zum Äußersten gehen.“
„Was?“, fragte Tinky Holloway.
„Aber … aber ist es nicht empörend?“, fragte Chick Morrison.
„Sie geben ihr doch nicht etwa recht?“, fragte Wesley Mouch.
„Wer sagt denn, dass ich ihr recht gebe?“, fragte Mr. Thompson in überraschend gelassenem Ton. „Seien Sie nicht voreilig. Seien Sie nur nicht voreilig, alle miteinander. Es schadet doch nie, sich ein Argument anzuhören, oder?“
„Ein solches Argument?“, fragte Wesley Mouch und stieß wiederholt mit dem Finger in Dagnys Richtung.
„Ein jedes Argument“, sagte Mr. Thompson gelassen. „Wir dürfen nicht intolerant sein.“
„Aber das ist Verrat, Verderben, Treulosigkeit, Selbstsucht und großunternehmerische Propaganda!“
„Nun, ich weiß nicht“, sagte Mr. Thompson. „Wir müssen offen bleiben. Wir müssen jedermanns Standpunkt in Betracht ziehen. Möglicherweise hat sie nicht ganz Unrecht. Er weiß, was zu tun ist . Wir müssen
Weitere Kostenlose Bücher