Der Streik
nicht, Mr. Thompson.“
„Ach, Sie sind ein Haufen weltfremder Intellektueller!“, sagte Mr. Thompson wütend. „Warum glotzen Sie alle so? Es ist ganz einfach. Wer er auch sein mag, er ist ein Mann der Tat. Außerdem hat er einen starken Interessenverband: Er hat sämtliche klugen Köpfe hinter sich versammelt. Er weiß, was zu tun ist. Wir werden ihn finden, und er wird es uns sagen. Er wird uns sagen, was zu tun ist. Er wird die Dinge in Gang bringen. Er wird uns aus der Patsche helfen.“
„ Uns , Mr. Thompson?“
„Sicher. Vergessen Sie Ihre Theorien. Wir werden ihm ein Geschäft anbieten.“
„Ihm?“
„Selbstverständlich. Ach, wir werden Kompromisse eingehen müssen, wir werden den Großunternehmern einige Zugeständnisse machen müssen, und das wird den Leuten von der Wohlfahrt nicht schmecken, aber was soll’s? Kennen Sie eine andere Lösung?“
„Aber seine Ideen …“
„Wen interessieren schon Ideen?“
„Mr. Thompson“, sagte Mouch erstickt, „ich … ich fürchte, er ist ein Mann, der sich nicht auf Geschäfte einlässt.“
„So etwas gibt es nicht!“, sagte Mr. Thomson.
*
Ein kalter Wind rüttelte an den kaputten Schildern über den Schaufenstern verlassener Geschäfte in der Straße vor dem Rundfunksender. Die Stadt wirkte ungewöhnlich still. Das entfernte Dröhnen des Verkehrs klang leiser als gewohnt und ließ das Geräusch des Windes lauter erscheinen. Leere Bürgersteige verloren sich in der Dunkelheit; ein paar einsame Gestalten standen tuschelnd unter den wenigen Straßenlaternen beisammen.
Eddie Willers sagte nichts, bis sie den Sender einige Blöcke hinter sich gelassen hatten. Er hielt plötzlich inne, als sie einen menschenleeren Platz erreicht hatten, an dem öffentliche Lautsprecher ein Lustspiel – die schrillen Stimmen eines Ehepaars, das sich über die Verabredungen seines Sohnes stritt – auf einen leeren, von unbeleuchteten Häuserfassaden umgebenen Bürgersteig übertrugen, weil niemand daran gedacht hatte, sie auszuschalten. Jenseits des Platzes ließen einige wenige senkrecht oberhalb der Fünfundzwanzig-Stockwerke-Grenze verstreute Lichter ein entferntes hohes Bauwerk erahnen; es war das Taggart Building.
Eddie hielt an und zeigte mit zitterndem Finger auf das Gebäude. „Dagny!“, rief er und dämpfte dann unwillkürlich seine Stimme. „Dagny“, flüsterte er, „ich kenne ihn. Er … er arbeitet dort … dort …“ Fassungslos und hilflos wies er beharrlich auf das Gebäude. „Er arbeitet für Taggart Transcontinental …“
„Ich weiß“, antwortete sie mit lebloser, ausdrucksloser Stimme.
„Als ein Gleisarbeiter … als der niederste aller Gleisarbeiter …“
„Ich weiß.“
„Ich habe mit ihm gesprochen … Jahrelang habe ich mit ihm gesprochen … in der Kantine des Terminals … Er hat mir immer Fragen gestellt … alle möglichen Fragen über die Eisenbahn, und ich … gütiger Himmel, Dagny! Habe ich die Eisenbahn geschützt oder geholfen, sie zu zerstören?“
„Sowohl als auch. Weder noch. Es spielt jetzt keine Rolle.“
„Ich hätte mein Leben darauf verwettet, dass er die Eisenbahn liebt.“
„Das tut er auch.“
„Aber er hat sie zerstört.“
„Ja.“
Sie schloss ihren Mantelkragen enger, stemmte sich gegen einen Windstoß und ging weiter.
„Ich habe mich immer mit ihm unterhalten“, sagte er nach einer Weile. „Sein Gesicht … Dagny, es sah anders aus als alle anderen, es … es zeigte, dass er so viel verstand … Ich war immer froh, wenn ich ihn dort traf, in der Kantine … Ich habe einfach geredet … Ich glaube, mir war gar nicht bewusst, dass er Fragen gestellt hat … aber das tat er … so viele Fragen über die Eisenbahn und … und über dich.“
„Hat er dich je gefragt, wie ich aussehe, wenn ich schlafe?“
„Ja … Ja, das hat er … Ich hatte dich einmal schlafend im Büro angetroffen, und als ich das ihm gegenüber erwähnte, hat er …“ Er hielt inne, als sei ihm plötzlich ein Zusammenhang bewusst geworden.
Im Schein einer Straßenlaterne wandte sie sich ihm zu, hob wortlos den Kopf und ließ ihn, gleichsam als Antwort und als Bestätigung seines Gedankens, einen Augenblick lang bewusst ihr Gesicht im vollen Licht sehen.
Er schloss die Augen. „Oh Gott, Dagny!“, flüsterte er.
Sie gingen schweigend weiter.
„Er ist jetzt fort, oder?“, fragte er. „Aus dem Taggart Terminal, meine ich.“
„Eddie“, sagte sie mit unerwartet harter Stimme, „wenn sein Leben dir etwas
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