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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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schmeicheln. Sie hielt nach dem Gesicht Dr. Stadlers Ausschau; er war nicht anwesend.
    Die Stimmen, die den Raum füllten, glichen einer Fieberkurve, dachte sie; immer wieder wurden sie allzu laut und verstummten dann wieder. Hier und da brach gelegentlich ein Lachen aus, das vorzeitig wieder verebbte, sodass die Köpfe an den benachbarten Tischen sich schaudernd danach umwandten. Die Gesichter verkrampften und verzogen sich unter der offensichtlichsten und unwürdigsten Form von Anspannung: gezwungenem Lächeln. Diese Leute wussten, dass diese Festveranstaltung der Gipfel und die Quintessenz ihrer Welt war, dachte sie, und das sagte ihnen nicht ihr Verstand, sondern ihre Panik. Sie wussten, dass weder ihr Gott noch ihre Gewehre dieser Feier die Bedeutung verleihen konnten, die sie vorzutäuschen versuchten.
    Sie brachte das Essen, das ihr vorgesetzt wurde, nicht hinunter; ihre Kehle war wie von einem Krampf zugeschnürt. Sie bemerkte, dass auch die Übrigen am Tisch nur so taten, als würden sie essen. Nur Dr. Ferris’ Appetit schien nicht beeinträchtigt zu sein.
    Als ihr Blick eben auf das zerlaufende Eis in einer Kristallschale vor ihr fiel, bemerkte sie die plötzliche Stille im Raum und hörte, wie die Fernsehkameras mit einem Kreischen nach vorn geschoben und einsatzbereit gemacht wurden. Jetzt , dachte sie mit zunehmender Spannung, und sie wusste, dass alle im Raum dieselbe Neugierde empfanden. Alle Augen waren auf Galt gerichtet. Sein Gesicht blieb reglos und unverändert.
    Es war nicht nötig, um Ruhe zu bitten, als Mr. Thompson einem Ansager einen Wink gab: Niemand im Raum schien zu atmen.
    „Meine lieben Mitbürger dieses und jedes anderen Landes, in dem man uns hören kann“, rief der Ansager in ein Mikrofon, „aus dem großen Ballsaal des Hotels Wayne-Falkland in New York City erleben Sie nun die Enthüllung des John-Galt-Plans!“
    An der Wand hinter dem Rednertisch erschien ein bläuliches Rechteck; es war ein Fernsehbildschirm, auf dem die Besucher die Bilder mitverfolgen konnten, die jetzt im Land ausgestrahlt wurden.
    „Der John-Galt-Plan für Frieden, Wohlstand und Profit!“, rief der Ansager, als auf dem Bildschirm ein zitterndes Bild des Ballsaals erschien. „Der Anbruch einer neuen Ära! Das Ergebnis einer einvernehmlichen Zusammenarbeit zwischen dem humanitären Geist unserer Regierungsmitglieder und dem wissenschaftlichen Genius von John Galt! Sollte Ihr Glaube an die Zukunft durch bösartige Gerüchte erschüttert worden sein, können Sie jetzt mit eigenen Augen unsere Landesführer als glücklich geeinte Familie erleben! … Meine Damen und Herren“, fuhr der Sprecher fort, als die Fernsehkamera auf den Rednertisch schwenkte und das verdutzte Gesicht von Mr. Mowen den Bildschirm füllte, „Mr. Horace Bussby Mowen, der amerikanische Industrielle!“ Dann erfasste die Kamera die ganze Gruppe alternder Gesichter, die gezwungen lächelten. „Feldmarschall Whittington S. Thorpe!“ Die Kamera ging wie bei einer polizeilichen Gegenüberstellung von einem entstellten Gesicht zum nächsten – entstellt von den Folgen ihrer Furcht, Abwehr, Verzweiflung, Unsicherheit, Selbstverachtung und Schuld. „Mehrheitsführer im nationalen Parlament, Mr. Lucian Phelps! … Mr. Wesley Mouch! … Mr. Thompson!“ Die Kamera blieb auf Mr. Thompson gerichtet. Er schenkte der Nation ein breites Grinsen, wandte sich dann um und schaute mit triumphierender, erwartungsvoller Miene weg von der Kamera, nach links. „Meine Damen und Herren“, kündigte der Ansager feierlich an: „John Galt!“
    Gütiger Himmel!, dachte Dagny, was tun sie nur? Das Gesicht John Galts blickte vom Bildschirm aus auf das Volk, das Gesicht ohne Schmerz, Furcht oder Schuld, unerschütterlich dank seiner inneren Ruhe, unverwundbar dank seiner Selbstachtung. Dieses Gesicht, dachte sie, mitten unter jenen anderen? Was auch immer sie vorhaben, dachte sie, es ist damit bereits zunichte gemacht; es gibt nichts, was noch gesagt werden könnte oder müsste; hier sieht man das Resultat beider Kodizes; das ist die Wahl, vor der wir stehen, und wer Mensch ist, wird das begreifen.
    „Mr. Galts persönlicher Sekretär“, erklärte der Ansager, als die Kamera am nächsten Gesicht vorbeiglitt. „Mr. Clarence ‚Chick‘ Morrison … Admiral Homer Dawley … Mr. …“
    Sie schaute die Gesichter um sich herum an und fragte sich: Sahen sie den Gegensatz? Verstanden sie ihn? Sahen sie Galt? Wollten sie, dass er wirklich existierte?
    „Dieses

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