Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
Vom Netzwerk:
Bankett“, sagte Chick Morrison, der als Zeremonienmeister das Mikrofon übernommen hatte, „findet zu Ehren des bedeutendsten Menschen unserer Zeit statt, des fähigsten Produzenten, des Mannes mit Sachverstand, des neuen Führers unserer Wirtschaft – John Galt! Wenn Sie seine außerordentliche Rede im Radio gehört haben, kann für Sie kein Zweifel daran bestehen, dass er in der Lage ist, die Dinge in Gang zu bringen. Heute ist er hier, um Ihnen zu sagen, dass er sie für Sie in Gang bringen wird. Falls Sie sich von ewiggestrigen Extremisten haben irreführen lassen, die behauptet haben, er werde sich uns nie anschließen, sein Weg lasse sich nicht mit unserem vereinbaren, es sei entweder der eine oder der andere möglich – dann wird die heutige Veranstaltung Ihnen beweisen, dass alles in Einklang gebracht und zusammengeführt werden kann!“
    Nachdem sie ihn gesehen haben, dachte Dagny, können sie dann noch einen anderen anschauen wollen? Nachdem sie gesehen haben, dass er möglich ist, dass der Mensch sich dazu entwickeln kann, was könnten sie dann noch anderes anstreben? Können sie jetzt noch irgendein anderes Verlangen verspüren, als in ihren eigenen Seelen das zu erreichen, was er in seiner erreicht hat? Oder werden sie sich davon beirren lassen, dass die Mouches, die Morrisons und die Thompsons dieser Welt sich gegen dieses Ziel entschieden haben? Werden sie die Mouches als menschlich und ihn als unmöglich betrachten?
    Die Kamera schwenkte über den Ballsaal hinweg und fing für den Bildschirm und die Zuschauer im Land die Gesichter der prominenten Gäste ein – der angespannten, wachsamen Landesführer und dann und wann das Gesicht John Galts. Er wirkte, als beobachteten seine scharfsichtigen Augen die Menschen draußen, die ihn im ganzen Land sahen. Man konnte nicht feststellen, ob er zuhörte: Sein Gesichtsausdruck ließ keine Reaktion erkennen, er blieb unverändert gelassen.
    „Ich bin stolz“, sagte der Führer der Mehrheit im Parlament, der nun das Mikrofon übernommen hatte, „heute Abend meine Hochachtung vor dem größten Wirtschaftsführer, den die Welt je gesehen hat, dem begabtesten Verwalter, dem genialsten Planer Ausdruck zu geben – John Galt, der Mann, der uns retten wird! Ich bin hier, um ihm im Namen des Volkes zu danken!“
    Das ist ein Schauspiel der Aufrichtigkeit der Lügner, dachte Dagny angeekelt und belustigt. Das Betrügerischste an diesem Betrug war, dass sie es ernst meinten. Sie boten Galt das Beste, was sie ihm ihrer Auffassung vom Leben zufolge bieten konnten, sie versuchten, ihn mit dem zu locken, was sie sich selbst als höchste Erfüllung des Lebens erträumten: diesen Erguss an geistloser Lobhudelei, die Unwirklichkeit dieser enormen Verstellung – Anerkennung ohne Maßstäbe, Hochachtung ohne Inhalt, Ehre ohne Ursache, Bewunderung ohne Grund, Liebe ohne einen Wertekodex.
    „Wir haben unsere kleinlichen Meinungsverschiedenheiten aus dem Weg geräumt“, sprach Wesley Mouch nun ins Mikrofon, „alle voreingenommenen Ansichten, alle persönlichen Interessen und selbstsüchtigen Ansichten, um unter der selbstlosen Führung John Galts unseren Dienst zu versehen!“
    Warum hören sie zu?, dachte Dagny. Sehen sie nicht das Zeichen des Todes in diesen Gesichtern und das Zeichen des Lebens in seinem? Welchen Zustand werden sie wählen? Welchen Zustand streben sie für die Menschheit an? … Sie schaute sich die Gesichter im Saal an. Sie waren nervös und leer; sie offenbarten nichts außer dem bleiernen Gewicht von Lethargie und einer schalen chronischen Furcht. Ihre Blicke waren auf Galt und auf Mouch gerichtet, als könnten sie keinen Unterschied zwischen ihnen feststellen oder als wäre ihnen jeglicher Unterschied gleichgültig. Ihr lebloses, unkritisches, wertfreies Starren schien zu fragen: „Wer bin ich, dass mir ein Urteil zustünde?“ Sie erschauerte und erinnerte sich an seine Worte: „Erklärt ein Mensch: ‚Mir steht kein Urteil zu‘, erklärt er: ‚Mir steht kein Leben zu.‘“ Lag ihnen etwas am Leben?, fragte sie sich. Ihnen schienen es nicht einmal der Mühe wert zu sein, sich diese Frage auch nur zu stellen. … Sie sah ein paar wenige Gesichter, denen etwas daran lag. Sie blickten Galt mit einem verzweifelten Flehen an, mit wehmütig tragischer Bewunderung – und mit Händen, die schlaff auf den Tischen vor ihnen lagen. Sie waren diejenigen, die zwar erkannten, wer er war, und in niedergeschlagener Sehnsucht nach seiner Welt dahinlebten –

Weitere Kostenlose Bücher