Der stumme Ruf der Nacht
gefunden. Das war ein echter Fortschritt.
»Das ist nicht alles«, sagte Nathan knapp.
»Was noch?«
»Die Waffe ist auf Courtney Glass registriert.«
Kapitel 4
Courtney war spät dran.
Sie band sich das Haar schnell zu einem Knoten und steckte es mit ein paar Essstäbchen hoch. Ein kurzer Blick auf die Uhr – 8:31 – und dann einer auf den Laptop auf dem ungemachten Bett. Wenn der Busfahrplan im Internet stimmte, hatte sie noch vier Minuten, bis der nächste Bus an der Haltestelle bei ihr um die Ecke abfuhr. Wenn sie den verpasste, müsste sie eine halbe Stunde auf den nächsten warten.
Wo waren ihre Schuhe? Sie suchte das Schlafzimmer nach den schwarzen Riemchensandalen ab – ohne Erfolg. Als sie neben dem Kleiderschrank stattdessen die roten erblickte, disponierte sie um. Die passten zwar nicht ganz zum japanischen Muster auf dem Rock, aber irgendwie hatte dieser Bruch auch Charme. Sie steckte noch einen roten Lippenstift in die Handtasche und stürzte zur Tür.
Während sie abschloss, schweifte ihr Blick auf Amys Seite der gemeinsamen Veranda. Als Courtney ihr gestern das Auto zurückgebracht hatte, war Amy nicht zu Hause gewesen, und jetzt lag der Schlüssel noch immer so in dem Blumentopf, wie Courtney ihn hinterlegt hatte. Sie hatte den Schlüssel auch gestern Nacht dort gesehen, als sie gegangen war, um sich mit
Jordan zu treffen. Da aber hatte sie sich mit ihrem Freund gestritten, und Courtney wollte nicht in den Streit platzen.
Ein erneuter Blick auf die Uhr. Drei Minuten. Sie flitzte auf Amys Verandaseite, schnappte sich den Schlüssel und klingelte.
Devon öffnete.
»Was ist denn mit dir passiert?«, fragte sie sofort, als sie den blauen Fleck unter seinem Auge sah.
»Nichts.« Er blickte sich verstohlen um. Courtney blieb wie angewurzelt stehen. Hatte er sich etwa in der Schule geprügelt? Aber warum wollte er das nicht sagen?
»Ist deine Mama da?«
»Wer ist da?«, rief eine Männerstimme aus einem anderen Zimmer.
Devon sah sie an, und sie verstand den Ausdruck in seinem Gesicht. Sie packte ihn am Arm.
»Komm her«, sagte sie und zog ihn hinaus auf die Veranda. Sie schloss die Tür. Schnell sperrte sie bei sich auf und drängte ihn hinein.
»Setzt dich da hin«, befahl sie und deutete auf einen Sessel.
Anschließend machte sie ihre Haustür zu. Devon setzte sich und starrte auf den Boden. Er hatte ein T-Shirt und eine Jogginghose an, die Courtney für seinen Schlafanzug hielt.
»Devon!« Die Männerstimme gellte durch die Wand.
»War er das?«, wollte sie wissen.
Devon sah sie kurz an und senkte wieder den Blick.
Courtney biss sich auf die Zunge, um nicht laut zu
fluchen. Stattdessen holte sie das Handy aus der Handtasche und stellte den Kameramodus ein.
»Schau mich an!« Er gehorchte, und sie drückte auf den Auslöser. »So, wenn ich weg bin, sperrst du die Tür hinter mir ab. Und machst niemandem auf außer mir oder deiner Mutter.«
Er schaute verstört, nickte jedoch. Sie ging hinaus und wartete, bis der Riegel mit einem Klicken einrastete. Während sie die Verandatreppe hinabstieg, wählte sie die Nummer des Notrufs. Sie ging zu dem Pickup am Ende der Auffahrt und sah auf das Nummernschild. Es war ebenso dreckverkrustet wie die Seiten und das Trittbrett des Wagens.
»Ich rufe vom Oak Trail, Nummer 925 an«, sagte sie der Vermittlung. »Schicken Sie bitte einen Streifenwagen her.«
»Um was für einen Notfall handelt es sich?«
Courtney bückte sich, um den Dreck vom Nummernschild zu wischen. Sie wusste nicht, ob die Kamera auch funktionierte, wenn man telefonierte. Klick. Offenbar schon.
»Häusliche Gewalt«, antwortet sie. »Es ist dringend.«
»Könnten Sie diese Gewalt beschreiben?«
Die Haustür ging auf, und Courtney sah auf.
»Er ist ungefähr einen Meter siebenundsiebzig groß. Bürstenhaarschnitt. Aknenarben.«
Amys Freund kam, nur in Jeans, über den Rasen gerannt. »He, was machst du da!«
»Oak Trail Nummer 925. Bitte kommen Sie schnell.« Ohne aufzulegen ließ sie das Telefon in die Handtasche gleiten.
»Guten Morgen!« Sein Name fiel ihr nicht ein.
»Was machst du da an meinem Auto?« Er pflanzte sich vor ihr auf und stemmte die Hände in die Hüften. Mit ihren Absätzen war sie ein bisschen größer als er.
»Ich habe es nur bewundert«, antwortete sie. »Ich würde mir auch gerne so eins kaufen.«
»Du hast da doch Fotos gemacht!«
»Ja, diese Reifen sind wirklich beeindruckend. So riesig.«
Mit gerunzelter Stirn gaffte er auf seine
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