Der stumme Ruf der Nacht
Glass?« Cernak stützte sich auf die Ellenbogen. »Sie wissen nicht mehr, welchen Pistolentyp Sie sich gekauft haben? Sind Sie da ganz sicher?«
Sie lehnte sich zurück. Wieder blickte sie Will an.
»Ich hab’s mir überlegt«, sagte sie. »Ich möchte doch lieber mit einem Anwalt sprechen.«
Anscheinend konnte man allein durch den Besitz eines billigen Anzugs und eines Juradiploms eine Fünfhundert-Dollar-Rechnung stellen und sagen »Das Verhör ist beendet«.
Nach einem zehnminütigen Meeting in einem angeblich privaten Zimmer und nachdem Courtney einen Scheck ausgestellt hatte, der hoffentlich nicht platzen würde, hatte Ross Ackerman diesen für sie ziemlich schlichten Satz einem versteinerten Lieutenant Cernak ins Gesicht gesagt.
Die zwei hatten sich ein kleineres juristisches Scharmützel geliefert, und danach hatte Ackerman Courtney aus dem schlecht beleuchteten Polizeirevier in den strahlenden Sonnenschein begleitet.
Nun standen sie auf dem Gehweg und sahen sich an.
»Für meinen Gerichtstermin bin ich schon spät dran«, sagte er, wobei er auf seine klobige Sportuhr aus Plastik schaute. Courtney hatte Ackerman einfach aus einem abgegriffenen Telefonbuch herausgesucht. Dann hatte sie, obwohl seine Sekretärin ihr am Telefon gesagt hatte, er wäre »schnell« und »bezahlbar«, geschlagene zwei Stunden auf ihn gewartet. Zwei nervenaufreibende Stunden.
»Ich habe den ganzen Tag zu tun.« Er griff in die
Brusttasche seiner Anzugjacke und zog eine Visitenkarte heraus. »Aber heute Abend habe ich Zeit. So gegen halb sechs vielleicht? Ich möchte etwas mehr über Ihren Fall erfahren.«
Courtney nahm die Karte und musterte ihn. Sie schätzte ihn auf vierzig. Er hatte eine Halbglatze, aber was ihm an Haaren fehlte, machte er durch eine sportliche Figur und gepflegte Hände wett.
»Heißen Sie wirklich Ackerman?«, fragte sie und blinzelte in die gleißende Sonne.
»Warum?«
»Na ja, der Name kommt mir sehr praktisch vor. Die Platzierung im Telefonbuch und so.«
Er grinste. »Ich war drauf und dran, mich ›Aardvark‹ zu nennen, aber dagegen hat meine Frau protestiert.«
Courtney steckte die Karte in die Handtasche. Er war ehrlich, und er war verheiratet. Über seinen beschränkten modischen Horizont konnte sie hinwegsehen.
»Ich mache um sechs Uhr Feierabend«, sagte sie, während am Straßenrand ein bekannter weißer Honda anhielt.
»Kommen Sie doch zu mir ins Büro.« Er reichte ihr die Hand. »Schön Sie kennen zu lernen. Es freut mich, wenn ich Ihnen helfen kann.«
Nachdem er sich verabschiedet hatte, stieg Courtney auf der Beifahrerseite in Fionas Auto.
»Wer war das?«, erkundigte sich ihre Schwester und verfolgte im Rückspiegel, wie Ackerman davonging.
»Mein Anwalt.«
Fiona sah sie an. »Du brauchst einen richtigen Anwalt.«
»Er ist aber bezahlbar«, entgegnete Courtney und zog den Reißverschluss ihrer Handtasche auf. Sie suchte nach einem Slim-Fast-Riegel, musste sich jedoch mit einem Kaugummi zufriedengeben.
Fiona fuhr an. »Vergiss die bezahlbaren Anwälte. Du brauchst einen guten. Ich leih dir das Geld. Wohin willst du?«
»Ins Haarstudio.«
Ihre Schwester riss die Augen auf. »Du willst jetzt arbeiten gehen?«
»Ich habe schon den halben Vormittag verloren. Ich kann’s mir nicht leisten rauszufliegen.«
Fiona schüttelte den Kopf, während sie an einem Stoppschild hielt. »Du scheinst es noch nicht kapiert zu haben. Du steckst bis zum Hals in Schwierigkeiten, Court. Man hat deine Pistole gefunden.«
»Woher weißt du das?« Courtney stockte der Atem.
»Nathan. Wie konnte deine Waffe auch nur in die Nähe des Tatorts kommen?«
»Und was hat er noch gesagt?«
»Dass es nicht gut für dich aussieht. Dass die Patrone zu deiner Beretta passt und du Schmauchspuren an der Hand hattest.«
Courtney bemerkte die Sorgenfalten im Gesicht ihrer Schwester. Und dass Fiona wie immer versuchte, ihre Unruhe hinter einer betonten Beiläufigkeit zu verstecken. »Was noch?«
»Das genügt doch, oder? Mensch, was ist da los, Courtney?«
»Wie sieht es denn aus? Man hat mich reingelegt.« Sie massierte sich die Schläfen, als könnte sie die Kopfschmerzen
einfach wegrubbeln. Sie hatte im Moment wirklich keine Lust, mit Fiona Fragespielchen zu spielen.
»Ich verstehe das nicht.«
»Prima, willkommen im Club«, schnappte sie. »Ich versteh es auch nicht.
»Warum sollte dich jemand reinlegen?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Und wie ist ein anderer an deine Pistole
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