Der stumme Ruf der Nacht
sonderbar, als sie das sagte.
»Warum rufst du an?«
»Es gab da ein Problem. Aber ich habe es gelöst.«
Gelöst. Wieso konnte er das nicht glauben?
»Was für ein Problem?«
»Hodges! Wir müssen weiter.« Devereaux winkte ihn zu sich.
»Bist du in der Arbeit?«, erkundigte sie sich.
»Ich bin an einem Tatort. Was gab’s für ein Problem?«
»Vergiss es. Es ist alles in Ordnung. Wann hast du heute Feierabend? Ich muss mit dir sprechen.«
Sie klang immer noch eigenartig, so als sei sie aufgeregt und versuchte es zu verbergen. Er hätte gerne gewusst, welches »Problem« sie »in Ordnung« gebracht und »gelöst« hatte.
»Ich weiß es nicht«, antwortete er. »Vermutlich recht spät. Du musst heute selbst zu deiner Schwester fahren.«
Stille.
»Ist bei dir wirklich alles okay?«
»Mir geht’s gut.«
»Das hört sich aber nicht so an.«
»Hodges!«
»Du bist beschäftigt. Wir können später darüber reden.«
Alex Lovell liebte billige Vergnügen.
Ihr gefiel es, wenn sich ihre Muskeln spannten und ihr Puls raste, während sie darauf wartete zu bekommen, was sie wollte. Und so wie sie es wollte.
Sie hielt die drahtlose Maus umklammert. Sie starrte auf den Bildschirm. Sie hielt den Atem an.
»Ja!«, zischte sie und schloss die Augen.
Lächelnd öffnete sie sie wieder.
»So, so, Mr. Klem? Was haben wir denn da?« Alex überflog eine Liste mit Zahlen auf der Suche nach der genauen Kombination, die möglicherweise ihre Vermutung bestätigte.
Und sie bestätigte sich. Wenn es was gab, das Alex genau wusste, dann dass Menschen vorhersehbar waren. Und um jemand zu finden, suchte man am besten den Ort seiner Laster auf.
Im Fall von Ronald Klem war das die Internet-Pornografie.
Alex durchsuchte die Webseite genauer, um an die Adresse zu kommen, die für seinen Online-Account hinterlegt war. Die Seite war zwar geschützt, aber dennoch nicht schwer zu knacken. Nach ein paar Klicks bekam Alex, was sie wollte.
»Hallo, Trottel.«
Sie schrieb die Angaben auf den Notizblock neben
dem Telefon und lehnte sich zurück. Jetzt kam der lustigste Teil ihres Jobs. Sie würde die ehemalige Mrs. Klem anrufen und ihr berichten, dass sich ihr Ex-Mann, der nach dem letzten Gerichtstermin untergetaucht war und nun achtzehn Monate mit den Unterhaltszahlungen für ihr gemeinsames Kind im Rückstand war, in Jacksonville, Florida, herumtrieb.
Alex schnalzte mit der Zunge, als sie zum Telefonhörer griff. Das war wirklich einfach gewesen.
Da klingelte es an der Tür. Sie warf einen Blick auf den Bildschirm rechts von ihr. Besuch. Alex besah sich das Schwarz-Weiß-Bild genau und blickte auf die Uhr. Eigentlich hatte sie heute früher Schluss machen wollen, aber das war soeben gestrichen. Die Besucherin machte ein Gesicht, das Alex verriet, dass sie ein echtes Problem hatte. Und das, was es auch war, keinen Aufschub duldete. Alex versetzte den Rechner in Ruhezustand und ging zur Tür, um sie zu begrüßen.
Die Frau stand in der Mitte von Alex’ wenig beeindruckendem Empfangszimmer und wirkte alles andere als beeindruckt. Mit Mitte zwanzig war sie ein paar Jahre jünger als Alex. Sie hatte ein Outfit und einen Körper, für den es sich zu sterben lohnte. Nur die Füße waren zerkratzt und dreckig, als ob sie gerade barfuß durch die ganze Innenstadt gejoggt war. Alex sah, dass aus ihrer Handtasche ein Paar Sandalen mit Riesenabsätzen herausragten.
»Bin ich hier richtig bei Lovell Solutions?«, wollte die Frau wissen.
»Das sind Sie.«
Alex sah, wie sie die abgewetzte Couch, die Umzugskartons
und die prekär auf einem Klappstuhl platzierte Kaffeemaschine abschätzte. Vor drei Monaten war Alex mit ihrem Büro hierhergezogen, hatte aber noch keine Zeit gehabt, alles auszupacken. Aber das war eigentlich auch egal, weil sie die meiste Arbeit ohnehin per Computer erledigte. Manche Kunden hatte Alex sogar noch nie gesehen, obwohl sie deren E-Mail-Adressen und Handynummern auswendig kannte.
Die Blicke der Frauen trafen sich. »Ich bin Courtney Glass.«
»Alexandra Lovell.«
Courtney ging zu einem schwankenden Stapel Computerhandbücher und schlug das oberste auf. Alex bemerkte, dass ihre Hände zitterten. Kurz überlegte sie, ob die andere womöglich Drogen genommen hatte.
»Woher haben Sie meine Adresse?«, fragte sie, eher aus Neugier als aus Ärger. Auf ihrer Visitenkarte stand sie nämlich nicht.
»Sandra Summers ist eine Kundin von mir.«
Alex schürzte die Lippen. Sandra Summers war eine bekannte
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