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Der stumme Tod

Der stumme Tod

Titel: Der stumme Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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Menschen in Berlin würden ihre Arbeit verlieren, dafür Hunderte in Köln Arbeit finden. Und irgendwo in diesem Backsteinbau saß einer, der das verhindern wollte.
    Bis Reinickendorf war es vom Westhafen aus nicht weit. Die Sprechstundenhilfe wollte die Praxis gerade schließen, doch Rath konnte ihr plausibel machen, dass es sich um einen Notfall handelte. Er zeigte ihr seine Polizeimarke.
    »Ich bin ein Freund von Frank Brenner«, sagte er. »Wenn das so ist. Kleinen Moment bitte.«
    Sie ging nach hinten und kam nach einer Weile zurück.
    »Der Doktor hat gleich einen Hausbesuch«, sagte sie. »Aber für Sie nimmt er sich noch ein bisschen Zeit.«
    »Danke.«
    »Nehmen Sie doch solange im Wartezimmer Platz. Ich muss Sie allerdings allein lassen. Er hat keine Überstunden genehmigt.« »Wie schade«, sagte Rath und lächelte sie an. Sie lächelte kokett zurück und winkte ihm noch mit zwei Fingerspitzen zum Abschied, bevor sie die Tür schloss.
    Rath setzte sich auf einen Stuhl im leeren Wartezimmer und schaute sich um. Eine gepflegte kleine Praxis. Bilder von Schlachtschiffen an den Wänden, ein Porträt von Admiral Tirpitz mit dem imposanten gespaltenen Bart. Doktor Borghausen war offenbar ein Bewunderer der untergegangenen kaiserlichen Marine. Rath fragte sich gerade, wo Brenner gedient haben mochte, da schwang die Milchglastür zum Wartezimmer auf, und ein Mann mit Arztkoffer und angegrautem Vollbart stürmte herein und wäre vor lauter Energie beinahe über Raths Beine gestolpert. Im letzten Moment blieb der Doktor stehen. Er schaute Rath musternd an, so als frage er sich, woher er diesen Freund von Brenner wohl kenne und welchen Gefallen er ihm tun könne.
    »Guten Tag«, sagte er, »Roswitha hat mir Ihren Namen nicht genannt. Haben wir uns schon einmal gesehen?« »Ich fürchte nein«, sagte Rath.
    »Aber Sie sind ein Freund des Kameraden Brenner?«
    »Kamerad ist richtiger als Freund«, sagte Rath und zeigte seine Marke. »Wir arbeiten in derselben Inspektion.«
    Borghausen nickte und starrte wie geistesabwesend auf Raths Dienstmarke. Langsam schien ihm zu dämmern, wen er da vor sich haben könnte, und Rath konnte förmlich sehen, wie er die Schotten dicht machte. Das wird dich auch nicht vor dem Kentern retten, dachte Rath.
    »Soso«, sagte der Arzt. Seine Stimme klang nun deutlich weniger energiegeladen, sondern leise und unterkühlt. »Was kann ich für Sie tun? Ich darf Sie darauf hinweisen, dass die Sprechzeiten längst überschritten sind.«
    »Es dauert auch nicht lange. Ich habe nur ein paar Fragen.«
    »Sie sind der Polizist, der Frank zusammengeschlagen hat, nicht wahr? Was wollen Sie?«
    »Sie sollten bei der Kripo anfangen, scharfsinnig wie Sie sind«, meinte Rath. »Sehen Sie, und gerade weil ich zugegen war, als Kollege Brenner sich die Verletzungen zulegte, die ihn leider dienstunfähig machten, würde ich unsere Erfahrungen gerne ein wenig abgleichen. Sie nennen ihn beim Vornamen ... «
    »Frank Brenner ist ein alter Freund von mir. Wir haben gemeinsam gedient!«
    »Dann müssen es wohl auch alte Kriegsverletzungen sein, die jetzt wieder aufgebrochen sind.«
    »Ich verstehe Sie nicht.«
    »Nun, ich habe so meine Zweifel, ob Ihr Attest, das die Verletzungen Frank Brenners beschreibt, einer amtsärztlichen Überprüfung standhalten würde.«
    Der Doktor lief rot an. Zeit fürs Blutdruckmessen, dachte Rath.
    »Sie wollen einen preußischen Mediziner erpressen?«, sagte Borghausen schließlich. Es klang reichlich gepresst.
    »Ich mächte dem preußischen Mediziner nur die Wahl lassen, wie er seine Zukunft gestalten mächte. Im Gefängnis und mit entzogener Approbation, um dann eventuell als Leichenwäscher neu anzufangen, oder als angesehener Arzt und Reinickendorfer Bürger, der sich vielleicht wegen einer dummen Sache mit einem alten Freund und Kameraden überworfen hat, ansonsten aber ganz glücklich ist.«
    Hinter der Stirn des Doktors ratterte es. Die Augen flackerten, die Pupillen flitzten hin und her.
    »Woher kennen Sie das Attest?«, fragte er, nun wieder ruhiger. »Ich bin Kriminalbeamter. Vielleicht etwas fleißiger als der Kollege Brenner.«
    »Sie wissen, dass Sie nicht befugt sind, solche Atteste einzusehen?«
    »Wer sagt denn, dass ich irgendetwas eingesehen habe?«
    Der Doktor holte tief Luft. »Wenn ich richtig informiert bin«, sagte er, sichtlich um Ruhe bemüht, »verzichtet Frank in dieser Angelegenheit - zu Ihrem Glück - auf ein Disziplinarverfahren. Also braucht es auch

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