Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der stumme Tod

Der stumme Tod

Titel: Der stumme Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
Vom Netzwerk:
dich doch nicht so auf! Du musst nicht eifersüchtig sein, ich ... «
    »Ich bin nicht eifersüchtig. Und du hast recht: Wir sind freie Menschen. Die Sache ist vorbei, das ist mir in den letzten Tagen klar geworden.«
    Sie schaute ihn ungläubig an, ihr Unterkiefer klappte langsam nach unten, ihr Wille schien nicht in der Lage zu sein, diese Bewegung aufzuhalten.
    » Welche Sache? Redest du von unserer Liebe? Ist das eine Sache für dich?« Tränen schossen ihr in die Augen. »Ist das eine Sache, die man einfach in den Ascheimer wirft?«
    Und er hatte gehofft, an diesem Gespräch, an dieser Situation vorbeizukommen. Er spürte, wie er es ihr übel nahm, ihnen diese Szene nicht erspart zu haben. Einer muss wohl immer das Arschloch sein, dachte er. Dann eben wieder ich.
    »Hast du allen Ernstes geglaubt, ich lasse mich so behandeln?«, herrschte er sie an. »Nimm deinen Kuchen und verschwinde! Geh zu diesem Herbert, geh zu deiner Schwester, geh zum Teufel!«
    Er kam sich vor wie in einem schlechten Film. Der enttäuschte Liebhaber. Er war ein miserabler Schauspieler, ein hundsmiserabler. Und so fühlte er sich auch.
    »Es ist dein Geburtstagskuchen, ich ... « »Ich will den verdammten Kuchen nicht!«
    Ihre Augen hinter dem Tränenschleier blitzten kurz auf.
    »Es ist dein verdammter Kuchen! Ich habe ihn dir geschenkt, ob es dir passt oder nicht!«
    Sie öffnete die Tür zum Flur.
    Schweigend ging sie zur Garderobe und zog ihren roten Mantel an. Plötzlich schüttelte es sie, die Tränen kamen erneut. Er konnte den Anblick kaum ertragen, wie sie dastand und lautlos schluchzte, er musste gegen den Drang kämpfen, hinüberzugehen und sie zu trösten.
    Er ging ans Fenster und schaute hinaus.
    Er hörte sie noch im Bad ihre Sachen zusammensuchen, und sein Herz krampfte sich zusammen. Es dauerte eine Ewigkeit, bis die Wohnungstür ins Schloss fiel. Ihre Schritte auf der Treppe. Zum letzten Mal. Dann sah er ihren roten Mantel unten im schummrigen Gaslicht des Hofes leuchten und dann im Dunkel der Toreinfahrt verschwinden. Zum letzten Mal.
    Er spürte einen Kloß in seinem Hals. Warum nur hatte sie zurückkommen müssen? Warum hatte sie ihnen diese Szene nicht erspart? Vielleicht machte ihr das die Sache einfacher, dass er sich wie ein Arschloch benommen hatte, aber er glaubte nicht wirklich daran.
    Sein Blick fiel auf den Geburtstagskuchen. Die Kerzen brannten immer noch und verbreiteten eine romantische Stimmung, die niemand mehr brauchte. Er pustete sie aus und nahm den Kuchen vom Tisch, musste einem Moment der Versuchung widerstehen, ihn gegen die Wand zu pfeffern. Dann stellte er ihn doch brav in den Schrank, warf stattdessen einen Stuhl um und trat gegen die Anrichte. Half nichts, er fühlte sich immer noch beschissen. Rath hielt es nicht mehr aus in der Wohnung, er holte die Flasche Cognac aus dem Wohnzimmer, warf sich in Hut und Mantel und ging hinaus ins Treppenhaus. Auf dem Weg nach oben begegnete er niemandem. Hier wohnten nur die Liebigs, die gingen früh zu Bett, und die Wohnung Steinrück stand immer noch leer.
    Es war kalt auf dem Dachboden, Rath nahm einen Schluck aus der Cognacflasche, bevor er die Dachluke öffnete und sich hinausschwang. Liebigs Tauben empfingen ihn mit einem leisen Gurren, als er sich auf den schmalen First neben den Taubenschlägen setzte. Das letzte Mal hatte er im Oktober hier gesessen. Komischerweise spürte er hier oben keinen Schwindel, der ihn sonst regelmäßig ergriff, wenn er zu hoch kletterte. Vielleicht lag es daran, dass der Abgrund ein paar Meter entfernt und der Boden nicht zu sehen war. Hinter dem Dach des Vorderhauses konnte Rath die Hausfassaden am anderen Ende des großen Spielplatzes erkennen, den die Stadtverwaltung in einem zugeschütteten Hafenbecken errichtet hatte. Und links ragte in einiger Entfernung die schlanke Kuppel von Sankt Michael als dunkler Schatten in den dämmernden Abendhimmel.
    Hier oben konnte er wieder frei atmen. Er saß einfach da, trank und schaute über die Dächer der Stadt. Irgendwo da draußen war jetzt Kathi unterwegs, auf dem Weg zu ihrer Schwester. Alle Wege schienen von ihm wegzuführen, eigentlich war das schon immer so gewesen, nie hatte er jemanden halten können. Nie jemanden halten wollen.
    Bis auf eine.
    Prost Charly, dachte er und hob die Flasche. Auf das Alleinsein!
    Worauf letzten Endes doch alles wieder hinausläuft. Für dich, für mich, für jeden von uns.
    Er trank und schaute in die Dämmerung. Gereon Rath, du sentimentales

Weitere Kostenlose Bücher