Der stumme Tod
und gleich vor den nächsten Laternenmast rasen!«
Rath bremste tatsächlich ab - die Ampel an der Flughafenstraße stand auf Rot.
»Der verliert seine Hauptdarstellerin und wittert gleich ein Geschäft«, schimpfte er. »Und dann diese geheuchelte Trauer! Am liebsten würde ich diesen Bellmann einbuchten!«
Sein Ärger hatte einen Grund: Bellmanns improvisierte Pressekonferenz. Um die Sache unter Kontrolle zu halten, hatten sie daran teilgenommen, hatten Fragen zu den Todesumständen der Schauspielerin so ausweichend wie möglich beantwortet und Bellmann im Auge behalten. Die Reporter hatten keinen Hehl daraus gemacht, dass sie den Polizisten den Rauswurf aus dem Atelier noch übel nahmen. Umso mehr klebten sie an Bellmanns Lippen, der sogar Kaffee und Kekse hatte auffahren lassen. Der Filmproduzent erging sich in unerträglich salbungsvollen Ausführungen über die unvergleichliche Schauspielkunst der großen Betty Winter, mit deren viel zu frühem Tod die deutsche Filmkunst um eines ihrer größten und hoffnungsvollsten Talente gebracht worden sei.
»Wir werden alles daransetzen, Liebesgewitter gleichwohl in die Kinos zu bringen, und sei es als Fragment«, hatte er geendet und tatsächlich einen feuchten Glanz in seine Augen gezaubert, »das sind wir der großen Betty Winter schuldig. Das können Sie ruhig so schreiben! Dieser Film ist ihr Vermächtnis! Er zeigt, welche Zukunft der deutsche sprechende Film hätte haben können, wenn nicht ... «
Als Bellmann mitten im Satz abbrach und sich von den Journalisten abwandte, ein Taschentuch vorm Gesicht, da hätte Rath am liebsten laut Scheiße gerufen. Was für eine Schmierenkomödie! Und die Kriminalbeamten Rath und Gräf als Laiendarsteller und Stichwortgeber mit auf dem Podium. Noch einmal würde er sich von diesen Filmfritzen nicht einseifen lassen, das hatte Rath sich geschworen.
Die Ampel sprang auf Grün, und er gab Gas. Die Reifen des Buick drehten kurz durch, bevor der Wagen wieder nach vorne schoss. »So ein Arschloch«, schimpfte Rath.
»Bellmann ist ein Arschloch, ohne Zweifel«, meinte Gräf und suchte wieder nach Halt, »aber das ist kein Verbrechen. Und Geschäftstüchtigkeit auch nicht. Wir können niemanden einsperren, nur weil er versucht, aus dem Tod Kapital zu schlagen.«
»Außer, wenn jemand bei diesem Tod nachgeholfen hat.« »Wenn jemand bewusst nachgeholfen hat. Wie ich das sehe, haben zwei Unglücksraben die Frau auf dem Gewissen, Glaser und Meisner. Eine bedauernswerte Verkettung unglücklicher Umstände. Der eine Unglücksrabe ist zusammengebrochen, der andere vor seiner Schuld geflohen. Auch wenn der Stromschlag sie getötet hat, der eigentlich Schuldige am Tod von Betty Winter ist der Beleuchter, und das ahnt der wohl auch. Der Kerl kann einem leidtun.«
»Er ist geflohen, das macht einen immer verdächtig.«
»Er wird plötzlich mit der Tatsache konfrontiert, dass er einen Menschen auf dem Gewissen hat«, sagte Gräf. »Nicht jeder kann sich einer solchen Verantwortung stellen. Könntest du so was?«
Rath schwieg und starrte auf die Straße. Vor ihm scherte ein Taxi aus, und er ging vom Gas. Je weiter sie nach Norden kamen, desto dichter wurde der Verkehr. Schluss mit dem Geschwindigkeitsrausch.
»Noch auf ein Bierchen ins Nasse Dreieck?«, fragte Gräf vorsichtig, als sie am Halleschen Tor auf die Skalitzer Straße abbogen.
Rath schüttelte den Kopf. »Heute nicht. Aber ich kann dich bei Schorsch rauslassen, wenn du willst.«
»So weit, dass ich allein trinke, bin ich noch nicht«, meinte Gräf. »Dann fahr mich lieber nach Hause.«
Der Kriminalsekretär wohnte in einem möblierten Zimmer am Schlesischen Tor. Kein großer Umweg für Rath, er verabschiedete Gräf mit einem kurzen Tippen an die Hutkrempe und fuhr zurück zum Luisenufer. Als er den Hinterhof überquerte, fiel ihm auf, dass in seiner Hinterhauswohnung im ersten Stock Licht brannte.
Er hatte die letzten Stunden überhaupt nicht mehr an Kathi gedacht, jetzt sah er wieder ihren roten Mantel im Rückspiegel, erinnerte sich an das Warten im Cafe. Er blieb einen Moment vor der Wohnungstür stehen, bevor er öffnete, und holte tief Luft, als habe er einen längeren Tauchgang vor sich.
Neben Kathis rotem Mantel hing ein zweiter an der Garderobe, ein dunkler Herrenmantel. Aus dem Wohnzimmer dudelte Musik, gedämpft durch die geschlossene Tür. Eine von Kathis grässlichen Schlagerplatten. Normalerweise wusste er zu verhindern, dass sie so etwas auflegte, aber wenn
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