Der stumme Tod
Gläserklirren gedämpfter, die Leute schienen mit angezogener Handbremse zu reden, zu trinken und zu essen.
Gereon folgte seinem Vater. Engelbert Rath wirkte wie jemand, der sich auskannte. Sie steuerten zielstrebig auf einen Tisch zu, an dem einige dunkel gekleidete Männer saßen, die aussahen, als seien sie geradewegs aus einer Reichstagssitzung in den Saal chauffiert worden. Es war einer jener Tische, an denen man sofort wusste, wer das Sagen hatte. Der Mann, der dort mit dem Rücken zur Wand saß, hatte ein Gesicht wie ein Indianerhäuptling. Hohe Wangenknochen, undurchdringlicher Blick. Ein Blick, der die beiden Raths sofort erfasst hatte. Die Miene des Mannes blieb unbeweglich, er murmelte etwas zu seinen Tischgenossen und stand auf.
Engelbert Rath stürzte dem Indianer entgegen.
»Entschuldige die Verspätung, Konrad«, begann er, »aber der Polizeidienst ... Auch in Berlin ... Mein Sohn ... «
»Schon jut, schon jut, Engelbäät! Mein Nachtzoch jeht sowieso erst in zwei Stunden«, beschwichtigte der Mann im Frack, und die unnahbaren Indianeraugen schauten beinahe freundlich. »Und?«, fragte er. »Wie jeht's dem jungen Rath? Schon einjelebt in der Reichshauptstadt? «
Gereon schüttelte dem Indianer die Hand. »Danke der Nachfrage, Herr Oberbürgermeister!«
»Lassen Sie mal die Titel beiseite. Kein OB und kein Staatsratspräsident bitte! Wir treffen uns hier rein privat. Drei Kölner in Berlin.«
Gereon lächelte geflissentlich.
»Lassen Sie uns in die Bar jehen«, sagte der Indianer. »Ich han da wat reservieren lassen.«
Ein Kellner führte sie zu einem kleinen Tisch, auf dem bereits eine Flasche Zeltinger Kirchenpfad in einem Weinkühler neben dem Reserviert-Schildchen wartete. Ihr Gastgeber hatte nichts dem Zufall überlassen. Vielleicht verstand sich Kriminaldirektor Engelbert Rath deswegen so gut mit dem Oberbürgermeister, abgesehen davon, dass sie Parteifreunde waren. Aber eigentlich hatte sich sein Vater immer schon mit jedem gut gestellt, der seiner Karriere förderlich sein konnte. Mit Erfolg. Seinerzeit der jüngste Oberkommissar der Kölner Polizei, heute Kriminaldirektor.
»So! Hier kann man sich unjestört unterhalten«, sagte der Indianer und wies ihnen die Plätze zu. Er wartete, bis der Kellner zwei Weingläser gefüllt hatte, bevor er begann.
»Schön, dat dein Sohn Zeit jefunden hat, Engelbäät«, sagte er. »Hast du ihm schon jesacht, um wattet jeht?«
»Doch nicht in solch einer delikaten Angelegenheit!« Engelbert Rath schüttelte den Kopf. »Ich dachte, das Beste ist, wenn du selbst ... «
»Lass uns erst mal anstoßen!« Der Indianer hatte ein Wasserglas vor sich stehen und prostete ihnen zu.
Die Raths hoben ihre Weingläser und tranken. Für Gereons Geschmack war der Wein eindeutig zu süß, doch sein Vater verzog die Lippen zu einer anerkennenden Grimasse und nickte. »Wirklich ein gutes Tröpfchen, Konrad.«
»Ich weiß doch, wat du jerne trinkst, Engelbäätl« Ihr Gastgeber stellte sein Wasserglas wieder hin und räusperte sich, bevor er begann. »Dann will ich mal jleich zur Sache kommen ... «, sagte er. »Et jeht um unanjenehme Dinge ... um ziemlich unanjenehme Dinge ... «
»Kein Problem. Die Polizei hat fast nur mit unangenehmen Dingen zu tun!«
»Ich bitte Sie, mein junger Herr Rath! Kommense mir bloß nich mit Ihrem Polizeiapparat! Ich sach doch: Dat is ein privates Treffen.«
»Lass den Herrn Oberbürgermeister doch erst mal erklären, Gereon!«
Vater brauchte keine fünf Minuten, um ihn wieder in alte Zeiten zu katapultieren. Gereon, der dumme, vorlaute Junge, der besser den Mund hielt, wenn die Erwachsenen wichtige Dinge zu besprechen hatten.
»Ihr Vater, lieber Herr Rath, hilft mir jerade in einer äußerst delikaten Anjelejenheit, und et trifft sich jut, dat die Familie Rath auch in Berlin vertreten ist ... «
So schnell also konnte der kölsche Klüngel einen einholen, auch mitten in der Reichshauptstadt!
»Um et kurz zu machen«, fuhr der Indianer fort: »Ich werde erpresst.«
»Unser Herr Oberbürgermeister bekommt anonyme Briefe«, soufflierte Engelbert Rath.
Der Indianer nickte. »Jemand droht damit, wie soll ich saaren, Informationen an die Öffentlichkeit zu bringen, die die Öffentlichkeit nichts anjehen. Und die den juten Namen Adenauer in den Schmutz ziehen könnten.«
»Was für Informationen?«
»Informationen, die das Ende meiner politischen Existenz bedeuten könnten, wenn die Nazis sie in die Hände kriejen, oder die
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