Der stumme Tod
gewesen, ihr Frauchen tot zu sehen.«
»Sie war es also wirklich.«
Rath nickte. Er holte ein Weinglas aus dem Schrank, bevor er sich zu ihr setzte, schenkte sich etwas Rotwein ein und zündete sich eine Zigarette an. Charly war neugierig, alles zu erfahren, und er erzählte. Nur dass er mit Böhm mal wieder über Kreuz war, das ließ er aus.
»Du meinst, ihr fehlen ebenfalls die Stimmbänder?« Rath nickte. »Ich bin fast sicher,«
»Was hat das zu bedeuten?«
»Keine Ahnung. Bei der Franck habe ich noch gedacht, dass jemand Oppenberg damit schockieren wollte. Aber diese Theorie passt nicht mehr, jetzt, wo wir eine zweite tote Schauspielerin haben, die mit Oppenberg überhaupt nichts zu tun hat.«
»Die Stimme ist doch sozusagen das Werkzeug einer jeden Schauspielerin. Wenn man ihr das wegnimmt, nimmt man ihr alles.«
»Es sei denn, sie dreht Stummfilme«, sagte Rath, und Charly funkelte ihn böse an. Sie mochte solche Zynismen nicht. »'tschuldige«, sagte er. »Fragt sich nur, warum er sie dann noch tötet. Oder andersherum: Warum nimmt er ihnen die Stimmbänder, wenn er sie sowieso töten will? Was hat das dann noch für einen Sinn?«
»Es muss eine symbolische Bedeutung haben«, meinte Charly. »Er will uns damit etwas sagen. Auch dass die Leichen in alten Kinos liegen, das muss etwas zu bedeuten haben.«
Rath nickte. »Könnte sein. Meinst du, er gibt uns Hinweise auf seine Identität? Meinst du, er will gefasst werden?«
»Weiß nicht. Aber das sind richtiggehende Inszenierungen. Und irgendwas will er damit sagen.«
»Ein Triebtäter ist er, wie es aussieht, jedenfalls nicht.«
Etwas tapste durch den Flur, und Kirie steckte ihren verschlafenen schwarzen Kopf durch die Tür. Dann kam sie hinein und rollte sich zu Raths Füßen zusammen.
»Was passiert jetzt mit dem Hund?«, fragte Charly.
Rath zuckte die Achseln. »Irgendwer wird ihn jetzt erben.« »Aber du lässt ihn doch nicht ins Tierheim gehen, oder?« »Erst einmal bleibt er bei mir.«
Sie trank ihren Wein aus und gähnte. »Ich bin müde«, sagte sie und stand auf.
» Mein Bett gehört dir.«
»Und du schläfst auf dem Sofa?«
»Du weißt doch, ich habe ein sehr großes Bett.« »Und auch keine Hintergedanken.«
Rath machte ein bierernstes Gesicht und hob seine Schwurhand.
Charly musste grinsen. »Im Ernst«, meinte sie. »Ich muss morgen früh raus. Und bin todmüde.«
»Ich auch.«
Er stand auf, nahm sie in den Arm und lächelte sie an. Dann biss er sie sanft in den Nacken, folgte ihrem schlanken Hals.
»Nicht«, sagte sie, ließ ihn aber gewähren und seufzte leise. Er nahm ihr Kinn und schaute sie an, sie hatte die Augen geschlossen und die Lippen leicht geöffnet. Rath schloss ebenfalls die Augen.
Erst als seine Lippen die ihren berührten, fing Kirie wieder an zu bellen.
Das Gebell und ihr Gelächter zerstörten die Erotik des Augenblicks.
Sie mussten den Hund wieder aussperren. Kirie ließ nur ein kurzes Protestgebell hören, gab dann aber Ruhe.
Rath ließ Charly den Vortritt im Bad und trank zu den leisen Klängen von Louis Armstrongs Black And Blue noch ein Glas Wein. Mitten im Stück nickte er weg und schreckte wieder hoch, als er Charly rufen hörte: »Bad ist frei.«
Er trank den letzten Schluck Wein, machte den Plattenspieler aus und ging ins Bad. Charly schlief schon, als er ins Schlafzimmer kam. Wie sie dalag! Er betrachtete ihr Profil auf dem Kopfkissen, die Umrisse ihres Körpers unter der Bettdecke, die sich sanft hob und senkte. Rath hatte die unehrenhaftesten Absichten, als er zu ihr unter die Decke kroch, doch er war viel zu müde. Er schmiegte sich an sie und atmete den Duft ihres warmen Körpers ein, und obwohl er noch spürte, wie sehr ihn das erregte, schlief er sofort ein.
Montag,
10. März 1930
Kapitel 43
Das Gesicht einer Toten schaute ihn an, überlebensgroß. Rath erschrak so sehr, dass er unwillkürlich auf die Bremse trat. Kirie rutschte vom Beifahrersitz und bellte. Ein Taxi hupte und überholte.
Liebesgewitter stand unter dem Gesicht, hinter dem ein gewaltiger Blitz den Himmel teilte. Der letzte Film der großen Betty Winter. Bald in den Kinos.
Das Plakat war nicht zu übersehen, es überspannte die volle Breite eines Baugerüsts am Moritzplatz. Rath fuhr rechts ran und stieg aus, um die gigantische Werbung in voller Größe sehen zu können. Unglaublich! War Bellmann jetzt komplett übergeschnappt? Oder ganz im Gegenteil ungeheuer raffiniert. Und skrupellos. Die Ermittlungsgruppe
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