Der stumme Tod
Hauptstadtpresse einen Nachahmer gefunden. Wieder haben wir es mit einer Schauspielerin zu tun, wieder Spuren einer Injektion, wieder wurde die Leiche in einem leeren Kino gefunden. Und wahrscheinlich fehlen auch der Fastré die Stimmbänder.«
Während Böhm nichts wesentlich Neues erzählte, wenigstens nicht für die Kollegen, die gestern in Weißensee dabei gewesen waren, holte Lange einen Apfel aus seiner Aktentasche, polierte ihn mit seinem Jackenärmel und biss krachend hinein, so laut, dass Böhm seinen Vortrag kurz unterbrach.
»Guten Appetit«, wünschte er, und alle lachten. Lange wurde rot.
Rath schaute auf den Apfel. Irgendeine Erinnerung flackerte kurz auf, ein Bild, das seinem Geist keine Ruhe ließ, irgendein Anblick, der ihn irritiert hatte, und er konnte nicht sagen, warum.
Und plötzlich wusste er es. Wusste, was ihm die ganze Zeit über im Kopf herumgespukt war.
Die von einem hungrigen Hund geplünderte Obstschale in der Wohnung Fastré.
Äpfel. Und Orangen.
Und eine unscheinbare Frucht in einer pelzigen braunen Schale, die ihr leuchtend grünes Fruchtfleisch und ihre kleinen schwarzen Kerne erst präsentierte, wenn man sie aufschnitt. Das einzige Obst, in das Kirie nicht einmal hineingebissen hatte.
»Yangtao!«, entfuhr es ihm, ein wenig zu laut.
Wieder hielt Böhm inne. »Wie bitte?«, fragte er. »Haben Sie geniest, Kollege Rath, oder wollen Sie etwas sagen?«
Ein paar Kollegen lachten. Böhm schien heute seinen lustigen Tag zu haben.
»Entschuldigung«, sagte Rath. »Mir ist nur gerade etwas aufgefallen. Eine mögliche Verbindung, die ich allerdings selbst noch nicht verstehe.«
»Wollen Sie uns nicht alle daran teilhaben lassen?«
»Ich weiß nicht, ist vielleicht nur ein Zufall ... « Rath räusperte sich. »Also gut«, sagte er. »Es geht um Yangtao, die chinesische Stachelbeere, eine exotische Frucht. Habe sie vor ein paar Tagen selber zum ersten Mal gegessen. In einem Chinarestaurant, in dem wir nach Vivian Franck gefragt haben. Weil sie dort vor der Tür aus dem Taxi gestiegen ist - ihrem wahrscheinlich letzten Taxi.«
»Und?«
»Das Personal hat sie auf dem Foto nicht erkannt, dafür aber Betty Winter.«
»Das ist doch nichts Ungewöhnliches, dass Schauspielerinnen mit Vorliebe exotische Restaurants aufsuchen.«
»Ich bin ja auch erst stutzig geworden, weil ich glaube, dass in der Obstschale in der Wohnung Fastré ebenfalls ein paar Yangtao gelegen haben. Kronbergs Leute sollten das mal überprüfen.«
»Ich muss Ihnen doch wohl nicht erklären, dass der Fall Winter mit den anderen beiden Fällen nicht die geringste Gemeinsamkeit aufweist.«
»Außer dass die Winter auch Schauspieler in war.«
»Das hat der Presse gereicht, um da einen Zusammenhang herzustellen, aber nicht uns.«
Rath ließ sich nicht beirren. »Aber nun ist da noch ein weiterer Zusammenhang«, sagte er. »Eben der, dass in der Obstschale der Fastré die gleiche exotische Frucht lag, die Doktor Schwartz im Magen von Betty Winter gefunden hat. Und dann verkehrte die Winter in einem chinesischen Lokal, das an der selben Straßenkreuzung liegt, an der Vivian Franck aus dem Taxi gestiegen ist, bevor sie von einem unbekannten Mann abgeholt wurde, ihrem mutmaßlichen Mörder.«
"Sollen wir also unter den Berliner Chinesen einen dreifachen Mörder suchen, oder was wollen Sie damit sagen?« Wieder hatte Böhm ein paar Lacher auf seiner Seite, aber Gennat fuhr ihm in die Parade.
»Lassen Sie mal, Böhm«, sagte der Buddha, »der Kollege Rath hat nicht unrecht: Das ist in der Tat höchst merkwürdig. Welche Schlüsse wir daraus ziehen können, wissen wir vielleicht noch nicht, aber wir sollten es im Hinterkopf behalten. Und wenigstens einmal nachprüfen, wo man diese Yangtangdinger ... «
»Yangtao«, sagte Rath.
» ... wo in Berlin man die überhaupt beziehen kann. Wenn Sie das übernehmen wollen, Kommissar Rath?«
Rath konnte sich spannendere Aufgaben vorstellen, aber er nickte. Dass Gennat ihm zur Seite gestanden und Böhms ätzenden Spott abgewürgt hatte, entschädigte für alles andere.
Kronbergs Vortrag blieb ihnen heute Morgen erspart. Der ED-Chef war mit seinen Leuten bereits zur Wohnung Fastré gefahren und hatte Böhm nur eine vorläufige Zusammenfassung gegeben, die der Oberkommissar selbst vortrug. Viele Spuren hatten die Erkennungsdienstler noch nicht ausgewertet. Fest stand, dass sie nirgends Einbruchspuren entdeckt hatten, genau wie im Luxor. Wenn sie den Kreis der Schlüsselbesitzer
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