Der stumme Tod
Kollegen Böhm eingeführte Sitte der regelmäßigen morgendlichen Besprechungen werden wir selbstverständlich beibehalten, vorerst jedenfalls, das hat sich bewährt. Gute Arbeit, Böhm.«
»Danke, Herr Kriminalrat«, meinte Böhm und wandte sich wieder ans Plenum. »Dann wären wir also durch. Noch irgendwelche Fragen?«
So schloss der Oberkommissar die Sitzungen immer, und noch nie hatte jemand seine Aufforderung ernst genommen. Deswegen bekam Böhm auch zunächst nicht mit, dass Rath wieder aufgestanden war.
»Wenn ich noch etwas sagen dürfte ... « »Kommissar Rath?«
»Auch wenn die Fälle Franck und Fastré jetzt selbstverständlich Vorrang haben, möchte ich die Aufmerksamkeit noch einmal auf den Fall Winter lenken. Der hat sich nämlich meines Erachtens mit dem Tod Felix Krempins noch nicht erledigt.« Rath räusperte sich, bevor er weitersprach. »Heute Morgen ist mir etwas aufgefallen«, sagte er. »Heinrich Bellmann hat offensichtlich eine riesige Werbekampagne für seinen neuen Film gestartet, in der er den Tod von Betty Winter ausschlachtet.«
»Das ist zwar geschmacklos, aber nicht verboten«, meinte Böhm, der bereits seine Sachen zusammenpackte und sichtlich keine Lust hatte, sich mit dem Fall Winter zu beschäftigen.
»Vor allem ist das ein Motiv«, sagte Rath. »Die ganze Zeit heult er uns etwas vor, und gleichzeitig instrumentalisiert er die Presse, um die Winter und ihren letzten Film in die Schlagzeilen zu bringen, schon an ihrem Todestag hat er damit angefangen. Und jetzt noch dieser Werbefeldzug mit einer Toten.«
Wieder hatte er Gennats Interesse geweckt. »Sie meinen, dass Betty Winter diesem Bellmann tot mehr nützt als lebendig?«, fragte der Buddha.
Rath zuckte die Achseln. »Vor allem frage ich mich, woher er so viel Geld hat. Heute Morgen sind mir allein drei riesige Plakate aufgefallen, wer weiß, wie viele noch in der Stadt hängen? Das muss doch ein Vermögen kosten. Normalerweise bewirbt Bellmann seine Filmchen mit kleinen Anzeigen in der Tagespresse. Und für sein neues Werk macht er mehr Tamtam als die Ufa? Da stimmt doch was nicht.«
»Da wittert ein Leichenfledderer die Chance seines Lebens und setzt alles auf eine Karte«, sagte Böhm. »Aber auch das ist kein Verbrechen.«
»Das mag ja sein, aber ungewöhnlich ist es schon«, meinte Gennato »Jedenfalls sollte man dem Mann einmal deutlich gründlicher auf den Zahn fühlen, als wir das bislang getan haben. Als Sie das bislang getan haben, Kommissar Rath, Oberkommissar Böhm!«
Den Rüffel, den Gennat ihnen zum Abschied noch mitgegeben hatte, konnte Rath verschmerzen: Wilhelm Böhm war der Hauptverantwortliche für den Fall Winter. Seit der Oberkommissar ihm den Fall entrissen hatte, hatte er sich viel zu sehr auf Krempin konzentriert, hatte Raths Zweifel an dessen Schuld abgewiegelt - und den Fall schlussendlich dem überforderten Gräf zugeschustert, einem Kriminalsekretär. Das alles nur, weil er Rath den Fall nicht gönnte. Das hatte er nun davon.
Ob Bellmann wirklich etwas mit dem Tod von Betty Winter zu tun hatte? Dass der Produzent zumindest irgendwelche Leichen im Keller hatte, ahnte Rath schon länger, spätestens seit Bellmann ihm mit seinen Anwälten gedroht hatte. Dem Mann auf den Zahn zu fühlen, wie Gennat es genannt hatte, konnte also nicht schaden.
Nach der Sitzung hatte der Buddha ihn kurz beiseite genommen und nach seiner Einschätzung gefragt. Rath hatte Gennat all das erzählt, was Böhm ihm nicht abgenommen hatte: wie Krempins Drahtkonstruktion funktionierte und dass irgendjemand, der das Drehbuch kannte, sich dieser Konstruktion höchstwahrscheinlich bedient hatte - um sie gegen Betty Winter zu wenden statt gegen eine teure Filmkamera. Voraussetzung war, dass dieser Jemand Krempins Plan entdeckt haben musste. All das Voraussetzungen, die auf Heinrich Bellmann durchaus zutreffen konnten.
Der Buddha hatte aufmerksam zugehört.
»Ich kümmere mich um einen Durchsuchungsbefehl für Bellmann«, hatte er gesagt. »Schauen Sie mal, ob Sie mit dieser chinesischen Spur weiterkommen. Wir sehen uns dann um zwei im Leichenschauhaus. «
Wenn die chinesische Spur denn überhaupt eine war, dachte Rath, als er an seinem Schreibtisch saß und das Telefonbuch nach chinesischen Restaurants durchblätterte. Sein unbedachter Ausruf vorhin ärgerte ihn. Auch wenn Gennat ihn gegen Böhm verteidigt hatte, richtig ernst genommen hatten ihn die Kollegen damit nicht. Er konnte es ihnen nicht verdenken, er selbst
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