Der stumme Tod
Aufzug.
Meisner/Zirna stand immer noch auf dem Klingelschild.
Rath drückte den Knopf, hinter der Tür schrillte es, doch niemand öffnete.
Er klingelte noch einmal und wartete. Selbst vom Treppenhaus hatte man in diesem Haus einen schönen Ausblick auf den kleinen See. Allein der Funkturm, dessen nass geregnetes Stahlgestänge in der Sonne glitzerte, die gerade wieder mit ein paar Strahlen durch die grauen Wolken brach, erinnerte an die Großstadt.
Als auch beim dritten Klingeln niemand öffnete, fuhr Rath wieder hinunter. Blieb noch der Hauswart, der sich hier vornehm Portier nannte, wie das Schild an seiner Loge verriet.
Der Mann trug sogar eine Uniform. Rath dachte an das Apartmenthaus von Vivian Franck. Wahrscheinlich brauchten Schauspieler so etwas. Er klopfte an die Scheibe.
Der Mann öffnete ein Schiebefenster.
»Was kann ich für Sie tun, Herr Kommissar?« »Ich suche Victor Meisner.«
»Herr Meisner ist nicht zu Hause.« »Das habe ich auch schon gemerkt.«
»Hätten Sie mich vorhin gefragt, anstatt einfach nur Ihre Marke zu zeigen, hätten Sie sich den Weg sparen können.«
»Mein Hund fährt so gerne Aufzug«, sagte Rath. »Können Sie mir vielleicht sagen, wo ich Herrn Meisner finde?«
»Herr Meisner arbeitet.«
»Aber er hat doch gerade erst einen Film abgedreht.«
»Herr Meisner arbeitet dauernd. Im Moment wahrscheinlich auch das Beste für ihn, nach der Tragödie mit seiner Frau.«
»Wie verkraftet er es denn?«
»Mit Anstand. In den ersten Tagen war er nicht ansprechbar, glücklicherweise hat sich Fräulein Bellmann da um ihn gekümmert. Doch jetzt scheint er sich wieder im Griff zu haben. Obwohl er mit all seiner Schauspielkunst nicht überspielen kann, dass dieser Schicksalsschlag einen gebrochenen Mann aus ihm gemacht hat.«
»Einen gebrochenen Mann ... «
Rath hatte einen anderen Eindruck von dem Schauspieler gewonnen. Aber er wollte nicht das Bild zerstören, das sich der Portier von seinem nun prominentesten Hausbewohner gemacht hatte. »Die Unterstützung von Frau Bellmann braucht er nicht mehr?«,
fragte Rath.
»Die war jedenfalls schon länger nicht mehr hier, falls Sie das meinen.«
»Und er bei ihr?«
»Ich bin Portier und kein Privatdetektiv!«
»Was würden Sie sagen, hat er seine Frau geliebt?« »Sie stellen aber indiskrete Fragen!«
»Das liebe ich so an meinem Beruf. Also: Wie würden Sie das einschätzen? «
»Natürlich hat er sie geliebt! Wenn sie auch in letzter Zeit ... « »Was denn?«
»Na ja, Frau Winter. Ich glaube nicht, dass sie ihn noch geliebt hat. Zuletzt wenigstens.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Na, sie war ja immer schon ziemlich kalt, hielt sich für was Besseres und hat unsereinen nie gegrüßt. Und scheinbar wollte sie ihn auch verlassen ... «
»Sie wollte sich scheiden lassen?«
»Nein, davon rede ich doch nicht! Sie wollte andere Filme drehen. Ohne ihn, mit einem anderen Produzenten.«
»Woher wissen Sie das?«
Der Portier zuckte die Achseln. »Zufällig aufgeschnappt. Haben sich direkt vor meiner Loge gestritten. Und ihren guten Namen würde sie auch nicht hergeben, hat sie noch gesagt, das könne er sich abschminken.«
»Was hat sie denn damit gemeint?«
»Keine Ahnung. Ich erzähle Ihnen nur, was ich an dem Morgen gehört habe. Zufällig.«
»An welchem Morgen?«
»Na, Sie wissen schon: An dem Morgen eben. Und dann kam er am Abend zurück, ein Häufchen Elend! Hat sich bestimmt Vorwürfe gemacht, dass er sich an ihrem Todestag noch mit ihr gestritten hat. Dabei war es doch nur ihre Schuld!«
»Ein heftiger Streit am Todestag von Betty Winter - warum haben Sie uns das denn nicht längst erzählt, guter Mann?«
»Weil mich niemand gefragt hat. Ihre Kollegen sind doch letzte Woche nur rein in die Wohnung und wieder raus. Für mich hat sich kein Mensch interessiert.«
Im Atelier in Marienfelde wurde tatsächlich noch gearbeitet, Rath musste einen Moment warten, bevor der Wachmann ihn hineinließ. Irgendein Abenteuerstreifen, wie es aussah, jedenfalls eine Kulisse mit zerschossenen Fensterscheiben. Eva Kröger war wieder mit von der Partie. Ob sie inzwischen einen Künstlernamen gefunden hatte? Sie lächelte Rath kurz an, als sie ihn erkannte. Im Gegensatz zu Dressler, dessen Blick ihrem Lächeln gefolgt war - der Regisseur verdrehte die Augen.
»Sie also auch noch«, sagte er. »Ich hoffe, das war's dann für heute. Ihre Leute geben sich hier ja plötzlich wieder die Klinke in die Hand! Wie soll man da noch
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